Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
Bedürfnis, sie noch einmal anzurufen, um sie zu besänftigen. Noch hatte er es in der Hand, das ahnte er.
    Was für eine verfluchte Scheiße, dachte er. Warum kann man nicht alles haben? Wieso muss man immer eine Wahl treffen?
    Wieder schwankte er, genau wie Griet gesagt hatte. War ihm nicht eben noch bewusst geworden, was Björn ihm bedeutete? Und nun jammerte er schon, weil er Griet verloren hatte.
    Er nahm sein Handy und drückte Björns Nummer.
    » Ich liebe dich«, sagte er, als Björn sich meldete. » Das darfst du nie vergessen.«
    Björn lachte leise.
    » Tu ich nicht«, sagte er.
    Maxim schluckte. Der Schneeregen pladderte auf die Markise, die Kälte kroch ihm unter die Haut, der Cappuccino schmeckte nach verbrannter Milch.
    Und irgendjemand brachte Schwule um.
    » Okay«, sagte er und presste das Handy ans Ohr. » Okay.«
    Doch Björn war schon nicht mehr da.
    *
    Warum ließ sie ihn nicht in Frieden?
    Er sehnte sich nach Stille.
    Doch da war sie wieder.
    Die Stimme.
    Es war ein Tuscheln und Wispern, dass ihm davon ganz wirr im Kopf wurde. Sie sprach zu ihm. Über ihn. Lachte ihn aus. Manchmal beschimpfte sie ihn auch. Nie konnte er es ihr recht machen.
    Immer wieder diese eine Stimme.
    Und Geräusche.
    Er wusste nicht, ob die Geräusche von der Stimme verursacht wurden oder ob sie aus sich heraus da waren.
    Seltsame Geräusche. Manche von ihnen hatte er noch nie gehört.
    Sie erschreckten ihn zu Tode, rissen ihn aus dem Schlaf. Ließen ihn mitten im Gespräch mit andern zusammenzucken. Mal ein Poltern, mal ein schrilles Pfeifen wie von einem übersteuerten Mikrofon, mal ein Heulen und Wimmern wie von einem verwundeten Tier.
    Niemandem hatte er je von der Stimme erzählt. Es kostete ihn enorm viel Kraft, sie zu verschweigen. Zu jeder Zeit auf sie gefasst zu sein. Und zu tun, als gäbe es sie nicht.
    Die Stimme wurde wütend, wenn er ihr nicht gehorchte, drohte ihm mit qualvollen Strafen. Nichts entging ihrem strengen Blick.
    Sie hatte ihn mit ihren Gesetzen vertraut gemacht. Und achtete darauf, dass er sie nicht übertrat. Sie rief sie ihm immer wieder in Erinnerung.
    Auf Verrat steht der Tod .
    Das schlimmste Gesetz von allen.
    Niemand durfte von der Stimme erfahren. Niemand. Nicht mal die Menschen, die es gut mit ihm meinten. Nicht mal sie.
    Worauf wartest du? Du hast schon genug Zeit verplempert!
    Er hielt sich die Ohren zu. Obwohl das immer nur für ein paar Sekunden half.
    Sobald die Stimme merkte, dass er sich ihr entziehen wollte, fand sie andere Wege, um zu ihm vorzudringen.
    Nichts war schrecklicher, als sie in seinem Innern zu spüren.
    Eins zu werden mit ihr.
    Jedenfalls beinahe.
    *
    Tobias Sattelkamp hatte seinen Alltag in überschaubare Zeitabschnitte eingeteilt. Das war der Deal mit Mr Spock, seinem Psychotherapeuten. Mr Spock besaß auch einen bürgerlichen Namen: Urs Grünwald. Doch wen interessierte der, wenn sein Träger aussah wie eine Reinkarnation des Halbvulkaniers von der Enterprise?
    Es gehörte zu seinem Krankheitsbild, dass Tobias sich am liebsten im Bett verkrochen hätte und nie mehr aufgestanden wäre.
    Depressionen.
    Er litt seit Monaten darunter.
    Lange vor dem Abi war ihm klar gewesen, dass er sein Leben nicht so leicht in den Griff kriegen würde, wie er sich das wünschte. Wenn seine Mitschüler sich ihre Zukunft in den leuchtendsten Farben ausgemalt hatten, war er stummer Zuhörer geblieben. Keiner schien es bemerkt zu haben. So war er immer weiter in die Isolation abgedriftet, ohne dass irgendwer auf die Idee gekommen wäre, ihm die Hand hinzuhalten.
    Für den Bundesfreiwilligendienst hatte er sich entschieden, weil er damit alle weiteren Entscheidungen erst einmal hinausschieben konnte. Es war eine gute Wahl gewesen, die für eine gewisse Zeit allen Druck von ihm nahm und es ihm möglich machte, wieder freier zu atmen.
    Mr Spock hatte ihn bei diesen Überlegungen unterstützt. Er hielt es für sehr vernünftig, dass Tobias sich eine Aufgabe gesucht hatte, die es ihm erschwerte, dem Alltag auszuweichen.
    » Sie brauchen ein Gerüst, das Ihren Tag strukturiert, und an dem Sie sich entlanghangeln können, wenn es Ihnen schlecht geht.«
    Tobias hatte sich bei den Maltesern beworben, arbeitete nun seit einigen Monaten im Bereich Behindertenfahrdienst und lieferte Essen auf Rädern aus.
    Mr Spock hatte recht gehabt. Die Arbeit zwang Tobias dazu, sein möbliertes Zimmer in der Lütticher Straße Morgen für Morgen pünktlich zu verlassen. Sie brachte ihn mit Menschen in

Weitere Kostenlose Bücher