Spieglein, Spieglein an der Wand
später taucht Rasmus auf. Man kann ihm ansehen, dass er genau weiß, worüber wir heute Abend gesprochen haben. „Na, wie ist es gelaufen?“
„Gut ist es gelaufen“, antwortet Juliane. „Mateus bleibt im Partykomitee. Stimmt’s?“
„Vielleicht. Rasmus, spendier uns mal eine neue Runde. Große Biere.“
„Ganz wie der Herr wünscht.“
Es kommen weitere Biere und Menschen hinzu. Irgendwann werden über einer winzigen Bühne Scheinwerfer eingeschaltet, und eine Dragqueen singt alte Discohits. Ich wanke auf die Toilette, um meine Biere loszuwerden. Niemand tatscht mich unterwegs an und ich bin fast etwas enttäuscht darüber. Als ich zurückkomme, sitzt ein muskulöser, dunkelhaariger Typ an unserem Tisch. Ich schätze ihn auf Ende zwanzig, und noch bevor ich seinen Namen höre, weiß ich, dass es jener Lasse sein muss, nach dem Rasmus vor zwei Wochen fragte. Leider ist Lasse in ein Gespräch mit Juliane vertieft und beachtet Rasmus deswegen kaum, obwohl dieser wie eine Kandidatin für die Wahl zur Miss World posiert.
„Lasse, das ist Mateus.“
Ich reiche ihm die linke Hand und bekomme einen knochenbrecherischen Händedruck.
„Was hast du mit deiner Hand gemacht?“
„Kickboxen“, sage ich wie aus der Pistole geschossen und greife nach meinem Bier.
Rasmus unterhält die Runde mit unserer Schlittenfahrt. Lasse hört nur halb hin. Er wundert sich sicher, was Rasmus und Juliane mit einem wie mir zu tun haben.
„Also, ich stehe jedenfalls nicht auf Jungs!“, sage ich laut, weil ich an diesem Abend Demütigungen und Bier genug abbekommen habe, um allem gegenüber gleichgültig zu sein. „Da haben Juliane und ich was gemeinsam.“
Lasse findet mich überhaupt nicht lustig. Anscheinend hat er keinen ausgeprägten Sinn für Humor. Um genau zu sein, sieht er aus wie einer, der vor einem Jahr zum letzten Mal gelacht hat.
Ich beuge mich vor: „Wenn ich plötzlich was ganz Unpassendes sage, ist das keine Absicht. Normalerweise besuche ich eher Orte, an denen die Leute nach Geschlechtsorganen Ausschau halten, die NICHT wie ihre eigenen aussehen.“
Kichern von Juliane, aber Lasse sieht immer noch wie versteinert aus. Ich frage mich, was Rasmus an ihm findet. Irgendwas muss es jedenfalls sein, denn er rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her und blickt immer wieder lange in seine Richtung. Leider scheint Lasse vor allem daran interessiert zu sein, sich mit Juliane zu unterhalten. Rasmus trinkt seinen Gin Tonic und zerkaut seine Zitronenscheiben, bis nichts mehr übrig ist. Dann bietet er an, eine Runde für uns alle zu holen, aber Lasse lehnt ab und sagt, er trinke nur Mineralwasser. So eine Schlaftablette.
Sie fangen an, über die Rechte der Homosexuellen zu diskutieren. Ein Thema, in dem Lasse sehr aufgeht.
„Ihr habt doch wohl dieselben Rechte wie alle anderen Dänen“, sage ich.
„Nicht ganz“, entgegnet Lasse.
„Geht es darum, dass ihr keine Kinder adoptieren dürft? Hat man das nicht gerade geändert?“
Juliane sieht mich an: „Das ist nicht nur eine Frage der Gesetzgebung.“
„Was ist es denn?“
„Die Haltung der normalen Dänen uns gegenüber“, antwortet Lasse kühl. „Auf diesem Gebiet gibt es noch viel zu tun, damit sich etwas ändert. Und das ist dringend nötig.“
„Aber warum? Wenn die Leute keine Schwulen mögen, dann ist das doch wohl deren Sache. Ich persönlich mag Leute aus Randers nicht.“
Typen wie Lasse bringen mich immer zum Ausrasten. Ich kann diese wichtigtuerische Art nicht ertragen. Als ob seine Sache und seine Probleme das einzig Wesentliche auf der Welt wären. Leider weiß ich genau, dass es mich auch deshalb so provoziert, weil es mich an Jonathan erinnert. Er war mein bester Freund, aber ich habe mich immer unreif und unbegabt gefühlt, wenn er mit seinem wichtigtuerischen Gebrabbel anfing. Das Schlimmste ist, dass ich manchmal das Gefühl hatte, er wolle genau das bezwecken.
„Du weißt nicht, wovon du sprichst“, erwidert Lasse eisig.
„Dann klär mich auf “, sage ich mit giftig-süßer Stimme.
„Du magst also keine Leute aus Randers. Aber wie oft hört man, dass Leute aus Randers niedergeschlagen werden, NUR weil sie aus Randers kommen?“
„Nicht oft, aber es bleibt zu hoffen, dass die Zahl solcher Überfälle steigt.“
„Homosexuellen passiert das ständig.“
„Jetzt übertreib mal nicht.“
„Das stimmt aber!“, sagt Juliane und sperrt die Augen auf. „Die Zahl der Gewalttaten, insbesondere gegen Schwule,
Weitere Kostenlose Bücher