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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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schiefe Nase.
    Winky stellt sich beinahe beschützend vor Rasmus. Das isteinerseits sehr mutig, andererseits aber auch völlig lächerlich, denn Winky ist mit Stöckelschuhen gerade mal 170 Zentimeter groß und noch dazu so dünn, dass man ihn am liebsten zu einer Mastkur schicken würde. Er sagt, es tue ihm leid, wenn sie den anderen den Appetit verdorben hätten, aber es sei doch wohl genug Platz für alle hier. Rasmus steckt seinen Kopf über Winkys Schulter und sagt mit ätzender Ironie in der Stimme, dass er sich über das Interesse freue, aber leider nicht auf Rothaarige stehe.
    „Hau ab!“, sagt der Rotschopf und versetzt Winky einen brutalen Stoß, sodass der rückwärts in Rasmus hineinstolpert.
    „Macht mal keinen Ärger hier!“, fordert der Wurstverkäufer.
    Julianes Augen sind wieder klar und nüchtern. Hastig schiebt sie einen Geldschein über den Tresen. Auch ich krame eine Handvoll Münzen aus der Tasche. Wir müssen weg von hier.
    „Jaja, wir stehen doch hier ganz ruhig“, antwortet Rasmus. „Wir geben keinen Pieps von uns.“
    Er greift nach seinem Würstchen und beginnt langsam, das Fett und den Ketchup davon abzulecken. Kein Zweifel, wonach das aussehen soll, und Rasmus lässt die beiden Typen währenddessen nicht aus den Augen. Sie glotzen zurück wie zwei bebende Stiere.
    „Komm, wir gehen“, sagt Winky und zerrt an Rasmus’ Jacke.
    „Ja, nach Hause zum Gruppensex!“, ruft Rasmus und wirft seine Wurst nach den Typen. Obwohl er nicht trifft, stoßen der Rote und die Schiefnase sofort wütende Grunzlaute aus.
    „Niemand nennt mich hier Arschficker!“
    „Nee, das ist ja auch ungerecht“, sagt Winky und verdreht die Augen.
    Wir gehen ein Stück auf der Strøget entlang und nähern uns der Helligåndskirche. Ich schiele über meine Schulter. Der Rote und die Schiefnase gehen hinter uns.
    „Äh … Sie verfolgen uns.“
    Wir erhöhen das Tempo und rücken ein bisschen enger zusammen.
    „Sind sie weit hinter uns?“, flüstert Rasmus.
    „Ungefähr fünfzig Meter.“
    „Vielleicht haben sie nur zufällig denselben Weg“, sagt Juliane.
    „Ja, und vielleicht sind sie auch von der Heilsarmee“, antwortet Rasmus. „Natürlich verfolgen die uns, Mann.“
    „Aber wir sind vier. Und die nur zu zweit.“
    „Gegen die haben wir trotzdem keine Chance“, sage ich.
    „Was machen wir jetzt?“, fragt Juliane. „Die Polizei rufen?“
    „Um ihnen was zu erzählen? Dass drei Homos auf der Strøget verfolgt werden? Die würden sich eher wundern, wenn man uns NICHT verfolgen würde.“
    Hinter uns fallen der Rote und die Schiefnase jetzt in einen gleichmäßigen Trab.
    „Wir müssen rennen“, flüstert Rasmus.
    „Ich kann in diesen Schuhen nicht rennen“, protestiert Winky energisch.
    „Das musst du aber. Und zwar jetzt!“
    Also rennen wir los. Der Rote und die Schiefnase sind dicht hinter uns. Ich höre ihre Schritte auf dem Pflaster. Rasmus biegt in eine Seitenstraße ein. Vor dem Jazzhouse stehen die Leute auf dem Bürgersteig, aus einem schwarzen BMW dröhnen Beats. Die Angst meldet sich wie eine alte Freundin und sie hat innere Bilder mitgebracht. Die Gewaltopfer aus den Geschichten meiner Mutter. Die Schläge, die Stiche, die Verletzungen, die Messer. Jonathan in einem Krankenhausbett. Er weinte. Ich versuchte, sein Freund zu sein, stark zu sein, aber ich konnte nicht, als ich ihn so daliegen sah, zerstört von einem Hass, der ihn zwei Monate später vielleicht für immer von uns genommen hat.
    Das war der Sommer, in dem ich, Mateus, lernte, was Angst heißt.
    Juliane zieht mich um eine Ecke und in eine Einfahrt hinein, wo Winky und Rasmus bereits hinter ein paar Containern kauern. Die Luft stinkt nach Müll. Wir halten den Atem an, während unsere Verfolger vorbeirennen. Niemand steht anschließend wieder auf. Wir haben genug Gruselfilme gesehen, um zu wissen, dass das Böse immer zurückkommt. Und ganz richtig: Eine Minute später laufen die beiden Monster in langsamerem Tempo in die entgegengesetzte Richtung. Der Rote hält inne und japst nach Luft, während die Schiefnase flucht. Dann nehmen sie wieder Kurs auf die Købmagergade und verschwinden. Wir harren noch ein paar Minuten aus. Irgendwann kommt ein Typ in die Einfahrt, um an die Wand zu pinkeln. Als er vier Menschen hinter den Containern hocken sieht, erstarrt er.
    „Was zum Teufel macht ihr da?“
    „Uns verstecken“, sagt Rasmus und steht auf. „Aber wir hören gerade damit auf.“
    Wir gehen die Straße entlang

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