Spiel der Angst (German Edition)
den Gang hinunter. »Columbus hat Amerika entdeckt. Und wir entdecken die, äh, Columbia.«
Die Maschine verlor an Höhe, unten war das Blitzen des Meeres und die Landmasse der Ostküste zu sehen.
Emily hob eine Augenbraue. »Besonders einfallsreich war das nicht.«
»Aber rechtzeitig«, verteidigte sich Ryan. »Was nützt der schönste Spruch, wenn das Flugzeug schon längst gelandet ist?«
Sie musste wieder lachen. Er brachte sie immer zum Lachen. Sie küsste ihn und hielt seine Hand fester, als die Fahrwerke ausfuhren und das Flugzeug, mit drei Hüpfern, auf der Landebahn des John F. Kennedy Airports in New York landete.
»Meine Damen und Herren«, erklang die Stimme erneut. »Willkommen am John F. Kennedy Airport in New York City. Bitte bleiben Sie noch so lange angeschnallt, bis die Anschnallzeichen über Ihren Sitzen erloschen sind, und schalten Sie elektronische Geräte erst ein, wenn …«
Emily hörte nicht mehr hin und drehte sich zu Ryan.
»Willkommen in New York City, Ryan«, sagte sie.
»Willkommen in New York City, Emily«, sagte er.
Sie waren angekommen.
In einem neuen Kapitel ihres Lebens.
11 M ONATE SPÄTER
2
FREITAG, 31. AUGUST 2012
Der Spätsommer hatte begonnen in der Stadt, die niemals schläft. Nächste Woche eröffnete die Footballsaison, und am Broadway starteten die neuen Theater- und Musicalstücke.
Sie waren durch Little Italy spaziert. Die Festa di San Gennaro bildeten den Höhepunkt farbenfroher Stadtteilfeste, von denen es in New York eine Menge gab. In drei Wochen ging es los, und dann herrschte für zehn Tage Ausnahmezustand in dem Viertel. Emily freute sich schon riesig darauf.
Emily und Ryan waren in einer kurzen Pause zwischen den Vorlesungen durch den Central Park gelaufen und nun zurück auf dem Campus der Universität. Es war Freitag, der 31. August. Morgen war der 1. September. Vor einem Jahr in London hatte alles angefangen, aber es erschien Emily so angenehm weit weg, dass sie sich kaum mehr daran erinnerte. Und außerdem war sie in New York, mit Ryan, und alles lief wunderbar.
Ein Jahr war vergangen, und es hatte sich wie ein einziger Monat angefühlt. Noch vor elf Monaten hatten Ryan und Emily ehrfürchtig der Campusführung durch einen älteren Studenten gelauscht. Die Columbia University war 1754 gegründet worden und damit älter als die USA selbst. Sie hatte 2 5 000 Studenten und war eine der besten Universitäten der Vereinigten Staaten, wie der Student, der sie herumführte, stolz verkündete. Ihr Motto In lumine tuo videbimus lumen – »In deinem Licht werden wir Licht sehen« – stand in klassischen Buchstaben über den Eingangsportalen.
King George II von England hatte das College, damals noch unter dem Namen King’s College, gegründet.
»Wieder ein King’s College«, hatte Ryan gewitzelt. »Und schon wieder die Engländer. Man wird sie einfach nicht los.«
Emily erinnerte sich an den Anblick der Low Library, die aussah wie das Pantheon in Rom, das sie in einem Urlaub mit ihren Eltern einmal gesehen hatte. Gegenüber stand die Butler Library, die die Hauptbibliothek war. Im Mittelpunkt des Ganzen erhob sich die St. Paul’s Chapel. Mit dem Riverside Park in der Nähe und dahinter dem Hudson River und dem großflächigen Campus konnte man gar nicht glauben, dass man hier mitten in Manhattan war, einem der am höchsten gebauten und am dichtesten besiedelten Orte der Welt.
Jetzt waren sie nicht mehr die Frischlinge. Jetzt waren sie die Erfahrenen und die, die den neuen Studenten den Campus zeigten. So wie gerade eben. Danach waren Ryan und Emily noch ein paar Minuten durch den Central Park spaziert, hatten die Schönheit des Parks genossen, den sanften Wind des Spätsommers und die ruhige Oase mitten in der Hektik der Großstadt.
Es war perfekt.
Es war wunderschön.
War es zu schön, um wahr zu sein?
Doch diese Frage wollte Emily nicht beantworten.
Auch neue Freunde hatten sie im Wohnheim und am College kennengelernt. Einer hieß Marc, kam aus Los Angeles und war nahezu besessen von allem, was mit Film und Glamour zu tun hatte. Er studierte passend dazu Filmwissenschaften an der Columbia, wollte später aber unbedingt wieder zurück nach Los Angeles und Hollywood. Als Emily ihn fragte, warum er dann nicht gleich in Hollywood blieb, antwortete er: »In Hollywood wird das Geld ausgegeben, es kommt jedoch aus New York. Man muss auch da sein, wo das Geld ist. Kreativität allein reicht nicht.« Da hätte Emilys Vater sicher
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