Spiel der Angst (German Edition)
als Strafe eigentlich viel zu milde.
Eine Zeit lang würde er sich gedulden müssen.
Rache war wie Wein.
Sie wurde mit den Jahren besser.
Das Spiel war noch nicht beendet.
Es hatte gerade erst begonnen.
1
»Meine Damen und Herren, unser Flug British Airways B A 0185 von London Heathrow nach New York John F. Kennedy Airport wird in zwanzig Minuten landen. Wir bitten Sie, alle elektronischen Geräte auszuschalten, die Tische vor sich hochzuklappen und sich wieder anzuschnallen. In New York sind es derzeit achtzehn Grad Celsius, das entspricht …«
Die monotone Ansage aus dem Cockpit mit einem Schwall von Vorschriften und Anweisungen plärrte durch das Flugzeug, doch Emily hörte gar nicht mehr hin. Sie war unsagbar glücklich.
Der Schrecken der letzten Tage war vorbei. Der Psychopath, der sie durch London gejagt hatte, Jonathan, war tot. Zermalmt von der U-Bahn, die ihn mit donnernden Rädern erfasst hatte, getötet in dem Schacht, in den er Emily selbst hineingelotst hatte.
Emily griff nach Ryans Hand.
New York, dachte sie. Ein neues Leben.
Eine neue Welt.
Mit Ryan.
Mit dem Mann, den sie liebte.
An dem sie tatsächlich eine Zehntelsekunde gezweifelt hatte. Damals, in London, als Jonathanes geschafft hatte, Ryan als Schuldigen dastehen zu lassen. So als wäre es Ryan gewesen, der sie gejagt, terrorisiert und beinah in den Tod getrieben hatte.
So groß, wie ihre Liebe zu ihm war, so gewaltig waren ihr Schock und ihre Enttäuschung gewesen, als Ryan aus dem Polizeiauto gestiegen war und die Polizei gesagt hatte: »Er war es.« Inspector Carter hatte mürrisch dreingeblickt, mit seiner Zigarette gespielt und Ryan abschätzig angeschaut. »Einen schönen Freund haben Sie sich da angelacht, Ms Waters«, hatte Carter gesagt.
Der Schmerz damals war unglaublich gewesen. Und je mehr sie versucht hatte, diesen Schmerz zu verdrängen, desto größer war er in ihr geworden. So als würde sie Salzwasser gegen den Durst trinken.
»New York, New York«, summte Ryan und blickte sie mit einem verschmitzten Lächeln aus seinen dunklen Augen an, die sie schon am ersten Tag fasziniert hatten, während er ihre Hand fester drückte. »Gleich sind wir da!«
Sie nickte und strahlte ihn an.
New York erwartete sie. Die Stadt, die niemals schlief. Doch hier würde sie schlafen.
Besser als in London. Viel besser. Und die Columbia University in New York erwartete sie. Dort würde sie ihr Studium fortsetzen. Und nicht nur sie. Denn Ryan hatte keine Sekunde gezögert. Klar komme ich mit, hatte er gesagt. Und dafür hatte sie ihn noch mehr geliebt.
Auch Emilys Eltern hatten eingewilligt, auch wenn sie ihre einzige Tochter sonst immer wie ein rohes Ei behandelten. Sie wussten, dass es der richtige Schritt war. Sie hatten gemerkt, dass Emily Abstand von London brauchte. London war der Ort ihrer größten Angst und ihres schlimmsten Albtraums gewesen. London hatte Emily beinah getötet. Die Hölle ist eine ähnliche Stadt wie London, hatte Percy Shelley gesagt. Und damit hatte er recht gehabt. Sie brauchte Abstand. Abstand von der Jagd durch U-Bahn-Schächte, Bibliotheken und nächtliche Straßen. Abstand von Jonathan, dem Psychopathen, der mit ihr ein grausames Spiel gespielt hatte und der – obwohl tot – allgegenwärtig war. Und vor allem Abstand vom Spiel. Dem Spiel des Lebens, das sie zu spielen gezwungen worden war. Auch wenn dies gleichzeitig Abstand zu ihrer Familie bedeutete.
Ihre Mutter, Patricia Waters, war da um einiges ängstlicher als ihr Vater. Sie arbeitete als Künstlerin, malte großformatige Bilder, die sie auch dann und wann einmal verkaufte, allerdings nicht so häufig und kaum für so hohe Summen, wie sie es sich erhoffte. Trotz allem führten sie ein sehr angenehmes Leben, was aber nicht an Patricias Kunst lag, sondern an dem Job von Thomas Waters, Emilys Vater, der Investmentbanker war und als Managing Director in der Abteilung für Fusionen und Übernahmen bei der amerikanischen Investmentbank Silverman & Cromwell in London arbeitete.
»Ich bin auch öfter mal in New York«, hatte ihr Vater vor ihrer Abreise gesagt. Möglich war das, da er ohnehin mehr im Flugzeug als auf der Erde wohnte. »Dann gehen wir mal im Trump Tower zu Abend essen. Und vorher darf sich mein großes Mädchen bei Tiffany, gleich um die Ecke, etwas aussuchen.«
Wer’s glaubt, wird selig,hatte Emily gedacht. Sie kannte ihren Vater. Sein Job ging vor, das hatten sie und ihre Mutter immer wieder zu spüren bekommen. Er würde es
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