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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etzold Veit
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Kapelle.«
    »Und da bin ich jetzt gelandet? Als katholischer Ire?« Ryan schüttelte den Kopf.
    »Hab’s ja gesagt«, sagte Julia, »für einen Iren sehr gewagt. Aber du kannst bestimmt in der Kapelle zur anglikanischen Kirche konvertieren.«
    »Mit Sicherheit nicht.« Ryan schüttelte noch mal den Kopf. »Mein Großvater sagt, dass Henry VIII sich damals nur vom Papst losgesagt hat, damit er ständig neu heiraten konnte.«
    »Und seine Exfrauen umbringen«, ergänzte Julia.
    »Spart den Unterhalt«, sagte Ryan.
    Emily hörte den beiden zwar zu, aber irgendwie gelang es ihr nicht so recht, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Die beiden Jungen, die sich neben ihr unterhalten hatten, stiegen bei Embankment aus, während die Bahn sich fauchend weiter Richtung Osten schob.
    Bei der Station Temple verließen die drei den Wagen, und ein letztes Mind the gap quakte ihnen hinterher . Der Himmel hatte sich weiter zugezogen, ein Obdachloser stand auf den Treppen zur Hauptstraße und verkaufte die Big Issue . »Big Issue«, rief er mit rauer Stimme. »Die Ausgabe von heute. Big Issue!«
    »Habt ihr eigentlich schon gefrühstückt?«, fragte Emily. Sie hatte auf dem Zimmer eine Banane gegessen, aber sonst noch nichts runtergekriegt. Ryan sah auf die Uhr.
    »Wir haben noch mehr als eine halbe Stunde«, sagte er. »Lass uns doch im dritten Stock vom King’s ins Deli gehen. Da gibt’s Frühstück.«
    »Im Wohnheim kann man auch frühstücken«, sagte Julia.
    »Habe ich schon gesehen heute Morgen. Würstchen, Bohnen und Eier, so typisch britisch«, erwiderte Ryan. »Wenn wir da jeden Tag essen, können wir Weihnachten nach Hause rollen.«
    »Was frühstückt ihr denn so in Irland?«, fragte Julia. »Wahrscheinlich nur Guinness als Flüssignahrung?«
    »So ist es«, sagte Ryan. »Morgens Kilkenny, abends Guinness.«
    Die drei bogen um die nächste Ecke und betraten das King’s College durch das große Eingangsportal. Eine Statue des Duke of Wellington auf einem Pferd begrüßte sie. Und als Emily sah, wie der Duke auf dem steinernen Pferd saß, spürte auch sie etwas von der Abenteuerlust und dem Tatendrang, den der Bildhauer hier für immer in Stein verewigt hatte, und sie wünschte sich, dass dieser Wagemut auch ein wenig auf sie überspringen möge, sie, die einerseits aufgeregt, aber auch ein wenig ängstlich in einen neuen Lebensabschnitt glitt, den das Eingangstor des King’s College mehr als symbolisch für sie versinnbildlichte. So waren ihre Gedanken von einer gespannten Neugier erfüllt, während sie die hohe Eingangshalle mit den klassizistischen Säulen passierten und an der Schwelle zu all diesem neuen die blecherne Durchsage der U-Bahn noch einmal in ihrem Kopf widerhallte: Mind the gap!
    An der Stirnseite der Eingangshalle war die Gründungsurkunde des College in Stein gemeißelt, und über dem Portal strahlte ihnen auf einem Wappen das Motto dieser Institution entgegen, das Auskunft über den geistigen und geistlichen Ursprung des King’s College gab: Sancte et sapienter – Heiligkeit und Weisheit.
    Sie wechselte einen Blick mit Julia. »Wir sind wirklich da«, sagte sie leise.
    Julia nickte. »Oh ja, das sind wir!«, erwiderte sie feierlich.

4
    A ls Emily zur Mittagszeit mit Julia durch einen der langen Korridore Richtung Mensa ging, schwirrte ihr der Kopf. Sicher, sie hatte vorher schon viel über das College gelesen und gehört, es hatte auch einige Einführungsveranstaltungen im letzten Frühjahr gegeben, aber das hier war doch etwas anderes. Professor William Kenny, der Dekan der Englischen Fakultät, hatte in seiner Eingangsrede davon gesprochen, dass es eine Ehre und eine große Verantwortung sei, an einer so ehrwürdigen Institution wie dem King’s College zu studieren, an dem so viel über Shakespeare geforscht wurde, dem »kleinen Bruder Gottes«, wie er ihn nannte, wie an keiner anderen Universität weltweit, mit Ausnahme vielleicht von Oxford. Er hatte die berühmte Geschichte des College in allen Details wiederholt, und irgendwann hatte Emily abgeschaltet.
    Sie mochte solche bedeutungsschwangeren Reden nicht. Einerseits erfüllte es sie mit Stolz, hier zu studieren, die große Tradition zu atmen, und das nur aufgrund ihrer schulischen Leistungen und nicht aufgrund irgendwelcher Verbindungen ihrer Eltern. Doch andererseits wollte sie sich lieber ihr eigenes Bild verschaffen, wollte sich einmal nicht vorschreiben lassen, mit welcher Linse und nach welchem Protokoll sie was zu betrachten hätte.

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