Spiel des Todes (German Edition)
Kolonialwarenladen. »Seit 1862«,
prangte in verspielter Schrift über dem Eingang mit den zwei seitlichen
Schaufenstern. »Der Lassiter« war der einzige Lebensmittelhändler, der sich in
Brannenburg neben den großen Supermärkten halten konnte.
Der Lassiter war ein Muster an Sauberkeit und ein Wunder an
familiengerechter Bedarfsdeckung. Der Laden war nicht groß, doch zwischen
seinen vier Wänden konnte man alles finden, was der Mensch zum Glück und zum
Leben braucht: Nahrungs- und Reinigungsmittel, Zigaretten, Tabak und Schnaps,
Geräuchertes, Semmeln und Kuchen, Obst, Bier und warme Mützen, Milch und Käse,
verpackt und offen, Hirschgeweih und Glühbirnen, Rasierapparate, CD s und Gießkannen. Wenn man einen
Außenborder brauchte, würde der Lassiter den besorgen, er führte kleinere
Reparaturen an allem durch, und es wurde gemunkelt, dass er unterm Ladentisch
sogar einen kleinen Vorrat an Schrotpatronen halte.
Neben ihm, dem Lassiter selbst, gab es nur eine weitere Angestellte
mit Zopf und Buckel, die ihm hauptsächlich beim Kassieren half. Heute war
zusätzlich ein junger Mann an der Kasse, der sich beworben hatte, im
Ostergeschäft für ein Butterbrot den Einkauf der Kunden einzupacken. Er selbst,
der Lassiter, bewegte sich in seinem Laden zwischen dem Getränkelager, der
Käsetheke und dem Schnapsausschank unablässig und mit sparsamen Bewegungen hin
und her. Er war rund von Gesicht, hatte eine Wampe und benutzte das
Oberbayrische wie eine Fremdsprache. Nur Einheimische konnten ihn verstehen. In
seinen Augen lag ein leichter Obstlerglanz.
An diesem Ostersamstag des Jahres 2003 stand er wieder einmal vor
dem Schnapsregal auf einem dicken Abstreifer, der ihm die Füße warm hielt, und
passte auf seine Schätze auf. Am letzten Einkaufstag vor Ostern war der Laden
gerammelt voll, und an solchen Tagen traute er niemandem. Ruhelos wanderten
seine fetten, weichen Hände durchs Regal, und die würstchengleichen Finger
zählten die Flaschen. Ein breiter Ehering an der Rechten war das Einzige an
ihm, was wertvoll war. Jedes Mal, wenn die Türglocke schellte, legte sich ein
warmes, behäbiges Lächeln auf sein Gesicht.
Lola Herrenhaus drückte die Tür auf und ließ Clara den Vortritt. Die
Glocke über ihnen raste wie ein Schwarm verschreckter Krähen. Clara sah den
Rundgesichtigen am Regal stehen. Amüsiert beugte sie sich nach hinten.
»Ja, das ist er. Lassiter«, flüsterte Lola mit todernster Miene. Sie
hatte Clara den Lassiter als wahren Spaßvogel beschrieben. Als Typ. Als
Filmfigur.
Mit ernster Entschlossenheit steuerte Clara an Lassiter und dem
Schnaps vorbei auf die Obst- und Gemüseecke zu.
Lassiter nickte freundlich und begrüßte Lola Herrenhaus mit einem
überschwänglichen »Grüß Gott, Frau Kriminalrat«.
Die bezopfte Bucklige saß hinter der Kasse.
Clara hatte für Emil Katzenfutter besorgt, Bananen, Milch und zwei
Äpfel. Sie stellte den mitgebrachten Korb auf die Theke und wollte ihren
Einkauf einpacken. Aber ein Arm mit einer behaarten Hand ließ es nicht zu.
»Darf ich das für dich machen, Clara Gray?«
Die Hand und der Arm gehörten zu einem Typ mit Pferdegesicht und
rostbraunem Bärtchen am Kinn.
Clara sah ihn sich genauer an.
Er hatte dickes, rotes Haar, das in gegelten Strähnen in alle Richtungen
wegstand. Blaue Schürze mit der Aufschrift »Lassiter«, gestreifte Krawatte.
Clara versuchte die Hand wegzuwischen, doch die war stärker. »Sagen
Sie mal«, rief sie verärgert aus. Den Kerl kannte sie.
Gottfried Dandlberg griff sich Claras Milch und den Käse, Zahnbürste
und Zahnpasta und das Katzenfutter und begann, alles in eine Tüte aus festem
braunem Papier zu stopfen.
»Du hast eine Katze? Ich liebe Katzen. Ich hab auch einen Kater.« Er
lehnte an ihrem rechten Arm und sah ihr direkt ins Gesicht. »Wollen wir nicht
einmal mit ihnen spazierengehen?«
»Er hat sich erst heute bei ihm beworben, hat der Lassiter gesagt«,
erklärte Lola Herrenhaus nachher im Auto. »Er empfand das Angebot des jungen
Mannes als Geschenk des Himmels. An so einem Einkaufstag.« Nein, er habe ihn
noch nie vorher gesehen und der Typ habe einen guten Eindruck gemacht.
Freundlich, intelligent, schnell, habe er gesagt, der Lassiter.
Lola setzte sie an ihrer Wohnung ab, nachdem ihr Clara während der
Fahrt den Vorfall damals im P 1 erklärt hatte, als der Franzi genau
diesen Typ verprügelt hatte.
»Du bist jetzt berühmt, Clara. Daran musst du dich gewöhnen. Es wird
immer wieder solche Kerle
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