Spiel des Todes (German Edition)
Duschlaute verstummten. Leise zog Clara sich zurück und ging an
den Kühlschrank. Sie öffnete einen Piccolo Moët Chandon. Dann verhörte sie den
Franzi und zwang ihn, sich hoffnungslos in ein Netz sensationeller Lügen zu
verstricken. Bis sie ihm ihr halb leeres Glas entgegenschleuderte. Die Narbe an
der Oberlippe blieb ihm lebenslänglich.
Wochen nächtelanger Diskussionen folgten. Clara war jung, es war
ihre erste Ehe. Sie musste an die Worte von Lola Herrenhaus denken.
Selbstmorddrohungen, Versöhnungen, Einigungen, Trennungen, Wiedervereinigungen.
Ein Alptraum. Als er vorbei war, war nichts mehr so, wie es begonnen hatte.
Sie wurde unsanft von einem Crash auf der Straße und den darauf
folgenden Sirenen geweckt. Das Bett neben ihr war leer. Sie stand auf und ließ
sich viel Zeit im Bad. Cremes, Eigenmassagen, Spiegelblicke.
Dann betrat sie die Küche.
Auf der Bar stand ein Glas frisch gepresster Orangensaft, daneben
ein Schluck Campari im Henkelkrügerl. Daran klebte ein Haftzettel: »Musste
früher weg. Mach dir nichts draus.«
Es war der Anfang vom Ende. Von da an schliefen sie nicht mehr
miteinander.
Beruflich war Clara Gray – mit Anfang zwanzig – zum Star
herangewachsen. Die Telenovela war außergewöhnlich gut angenommen worden, die
Quote übertraf die Erwartungen weit. Clara gab Autogrammstunden, sie füllte
Säle mit ihrer bloßen Anwesenheit. Hauptsächlich trat Clara vor
dichtbewimperten, blassen, pubertierenden Mädchen auf, die sich einmal eine
ähnliche Karriere erhofften. Locker hatte sie die Aufnahmeprüfung an der
Falckenberg-Schauspielschule geschafft, was sich in ihrer weiteren Laufbahn
bemerkbar machen sollte.
Die Zahnradbahnfahrerin Maria Schwarz hatte sich in atemberaubendem
Tempo zu einer begehrten, berauschenden Schönheit entwickelt, die von einer
schier unstillbaren Neugierde besessen war. Ihr Kontostand klickte im
Minutentakt. Anderen wären der Ruhm und das Geld zu Kopf gestiegen, ihr
Selbstwertgefühl wäre vollkommen übersteigert in den Himmel gewachsen. Clara jedoch
blieb am Boden, und jeden Abend flüsterte sie ein Vaterunser und ein Dankgebet,
wenn der Franzi da war. Wenn er nicht da war, sprach sie es laut.
Versuchungen hätte es genug gegeben. Doch sie begegnete ihnen mit
Selbstbewusstsein, innerer Ruhe und Stolz. Sie war verheiratet. Wenn jemand
versuchte, sich an ihren Lippen festzusaugen, hatte sie ihre Standardantwort:
»Ich stelle Ihnen gern meinen Mann vor.« Am liebsten wich sie allen
Anfechtungen aus.
Franz Weesmüller wächst in Hölzlbruck auf. Seine Mutter ist
Krankenschwester in der Kreisstadt und wird mit siebzehn als Auszubildende
schwanger. Es wird gemunkelt, dass das Kind von einem Arzt stammen soll, aber
gelöst wird dieses Rätsel nie werden. Der Franzi – so heißt er von Geburt an –
ist ein lebhaftes Kind. So lebhaft, dass seine Mutter, als sie achtzehn ist,
allein wegzieht. Den Franzi lässt sie beim Großvater. Der Großvater nennt sich
Silvio Coltello und hat, als er den Franzi übernimmt, gerade seinen vierzigsten
Geburtstag gefeiert. Coltello ist sein Künstlername. Er arbeitet als
Messerwerfer in einem kleinen Zirkus und sammelt Postkarten, die er aus der
ganzen Welt zugeschickt bekommt. Ursprünglich kommt der Zirkus aus dem
österreichischen Montafon und heißt Varrani. Seit neun oder zehn Jahren schlägt
Varrani sein Winterquartier – mit dem Zutun von Coltello – auf einer Waldwiese
am Rand von Hölzlbruck auf. Er gehört dann mit seinen Tieren fast zum Dorfbild.
Da gibt es Kamele, Lamas, zwei Elefanten, eine Pferdegruppe, Seelöwen,
dressierte Falken, Streichelponys und das eine oder andere Mal ein Rudel
kleiner weißer Hunde. Jung-Franzi freut sich schon den ganzen Sommer auf den
Winter. Er darf die Hölzlbrucker Schule besuchen und verbringt jede freie
Minute mit den Tieren.
Er will, als es darum geht, sich Gedanken über einen Beruf zu
machen, beim Zirkus bleiben. Trapezkünstler, Clown, Zauberer, am liebsten
Tierdresseur. Doch Coltello drängt auf eine bürgerliche Ausbildung. »Zum Zirkus
kannst du später immer noch. Außerdem ist die ganze Berufswelt ein Zirkus.« Ein
weises Lächeln überzieht sein Gesicht, als er dem Franzi eine zweite Begründung
liefert: »Im Zirkus schauen die Pferde, Seelöwen und Elefanten zu, wie sich die
Menschen wie Narren benehmen.«
So wird der Franzi Physiotherapeut. Drei Jahre Ausbildung, zwei
Männer bei achtunddreißig Frauen in der Klasse. Sich da zu behaupten fällt ihm
nicht allzu
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