Spiel mir das Lied vom Wind
hättest am liebsten, ich würde ihn davonjagen, nicht wahr? Und er würde hier nicht wohnen, stimmt's? Aber du kannst doch nicht verlangen, dass er jeden Tag den weiten Weg zurück nach Köln fährt. Er arbeitet doch in der Gegend. Und außerdem, er ist doch ein wunderbarer Mann. So zärtlich und charmant. Er hat so viel zu erzählen. Und wie er kocht! Und wie er auf der Gitarre spielt! Und seine Stimme, wenn er singt! Da werden mir die Knie ganz weich, verstehst du das nicht? Er ist ein einsamer Mann, hat niemanden außer mir. Keine Frau, keine Kinder, nichts. Ach, West! Er hat sogar die Haustür repariert, ich muss mich nicht mehr dreimal dagegen fallen lassen. Und den Polo hat er wieder fit gemacht. Hast du nicht den schönen, blauen Kotflügel vorne rechts gesehen? Eigentlich brauchte der Polo zwar eine neue Benzinpumpe, aber es ist doch der gute Wille, der zählt, oder nicht? Und außerdem hat Harry doch diese wunderschöne Garage gebaut, hast du sie nicht gesehen? Und Holz hat er gehackt. Das reicht für zwei Winter. Wir werden es schön warm haben. Wenn es nach ihm ginge, würde er aus unserm Forsthaus ein Schloss machen, hat er jedenfalls gesagt. Ach, West. Wir haben so viel gemeinsam, Harry und ich. Wir mögen beide den gleichen Wein. Wir werden schöne Reisen machen. Für mich lässt er sogar das Wandern sein. Und im Bett, ach, West! Ich war so lange allein. Alleinsein ist nicht gut. Und Harry tut mir gut. Ich brauche einfach jemanden zum Reden. Jemanden, der mich lieb hat. Ich weiß, er ist viel jünger als ich, aber er sagt, das macht ihm nichts aus. Im Gegenteil, er will keine Jüngere. Und es sind ja auch nur zehn Jahre. Außerdem finde ich, er sieht älter aus, als er ist. Seine Haare werden auch schon langsam grau, hast du es gesehen? Okay, er mag Davis nicht besonders. Aber das wird schon noch kommen. Aber dir hat er doch nichts getan, oder? Er hat eben nie Haustiere gehabt. Er wird sich an euch gewöhnen. Ihr müsst es ihm aber auch ein bisschen leichter machen, versprochen? Es tut mir leid, wenn ich dich und Davis manchmal vergesse und mich gar nicht um euch kümmere, aber mein Leben ist gerade so aufregend, dass ich …«
»Engel!«
Rums! Sie lässt mich fallen, tritt Davis auf die Pfote und rennt zur Haustür. Wir machen uns aus dem Staub. Ich torkele ein wenig.
Harry ist wieder da. Engel ist glücklich. Jetzt reicht es mir. Sie hat ihre letzte Chance vertan. Ich werde ausziehen. Schluss, aus, Basta!
Während ich die nächsten Tage mit der Suche nach einem gemütlichen Ort verbringe, wo ich verwöhnt werde, beobachte ich, wie Harry sich plötzlich um Davis und mich kümmert. Es scheint ihm schwer zu fallen, aber er tritt nicht mehr nach Davis. Er streichelt ihn sogar. Mich nicht. An mich lasse ich ihn nicht heran. Er spricht mit uns und versucht, uns jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sogar wenn sie nicht da ist. Er füttert uns auch. Reichlich. Aber ich traue ihm nicht über den Weg und rühre sicherheitshalber nichts an, was aus seiner Hand kommt. Lieber verhungere ich. Lieber tot als Sklave. Davis ist da viel pragmatischer. Er macht seinen Napf blank und meinen noch dazu. Voller Bauch und leerer Kopf. Das wird nicht gut gehen.
Als ich wieder einmal von einer Erkundungstour nach Hause zurückkehre – ich habe da etwas in Aussicht, bei einem älteren Paar, ein paar Straßen weiter, auch mit Sessel, aber ohne Hund, dafür mit Eins-a-Futter – sind beide Autos fort. Ich schlüpfe wie stets durch das Loch in der Haustür und halte nach Davis Ausschau. Vielleicht kann ich ihn doch überreden mitzukommen. Es würde ihm dort auch gefallen.
Davis liegt schlafend vor dem Ofen, ohne zu schnarchen. Mucksmäuschenstill. Ich schleiche mich an. Ich will ihn erschrecken. Unser Lieblingsspiel. Aber als ich mit der Nase gegen seinen Bauch stupse, rührt er sich nicht. Ich strecke eine Pfote aus und kratze ihm über den Bauch. Er fühlt sich kalt an. Seine Augen sind starr auf einen Punkt gerichtet. Seine Schnauze steht halboffen. Weißes, Schaumiges, Übelriechendes tritt hervor, aber kein Atem. Ich klettere auf ihn. Ich rüttele an ihm. Er macht sich steif. Ich zerre an seinem Schwanz. Ich beiße in sein Fell. Es nützt alles nichts. Er schläft, wie er noch nie geschlafen hat. Er riecht nach Tod. Ich hab es kommen sehen.
Bei dem älteren Menschenpaar gefällt es mir recht gut. Ich darf tun und lassen, was ich will. Das Futter ist erste Sahne. Sie nennen mich Mieze. Na, ja. Nichts kann mich mehr
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