Spiel mir das Lied vom Wind
nichts ab. Rein gar nichts.
Aber es kommt noch schlimmer.
Als Davis und ich wieder einmal nachts hinter dem Auto Wache schieben, kommt sie heraus, klopft an die Autotür, zieht sie auf und klettert zu Harry ins Auto und kommt die ganze Nacht nicht heraus. Eine schöne Geschichte. Aber sie wird noch besser.
In der nächsten Nacht klettert sie nicht ins Auto, sondern redet so lange auf Harry ein, bis er herauskommt und mit ihr ins Forsthaus geht. Er darf auf dem großen Sessel schlafen. Auf meinem Platz!
Und das ist nur das erste Mal. Immer wenn Harry kommt, bleibt er und schläft auf dem großen Sessel. Auf meinem Platz!
Wenn Harry auf meinem Sessel schläft, dürfen Davis und ich zum Trost in ihrem Bett schlafen, müssen uns allerdings die halbe Nacht dämliche Fragen über Harry anhören. Ich schalte auf Durchzug. Aber ich gestehe, jedes Mal, wenn das Wort Harry fällt, zuckte ich unwillkürlich zusammen.
Dann kommt die Nacht der Nächte. Ich werde sie nicht vergessen. Mein Sessel ist nicht belegt, obwohl Harrys Auto vor der Tür steht. Im Auto ist er auch nicht, es ist mucksmäuschenstill darin. Leise, wie nur ein Kater sein kann, schleiche ich die Stiege empor. Davis im Schlepptau. Die Tür ist nur angelehnt, ich stecke als Erster meinen Kopf hindurch und springe lautlos mit einem Satz auf die Kommode unter dem Fenster, einem meiner Lieblingsplätze, und sehe die Bescherung: Es gibt vier Füße und zwei Köpfe im Bett.
Davis hätte mein Entsetzen in meinen gelben Augen sehen können. Und meinen Buckel. Er hätte gewarnt sein müssen. Aber nein, er sieht nichts, springt aufs Bett und will sich das Dilemma selbst erschnüffeln. Ich weiß, Hunde können schlecht sehen. Aber denken können sie offensichtlich auch nicht.
Keine zwei Augenblicke später und Harry schnappt sich Davis und wirft ihn im hohen Bogen aus dem Bett. Davis kann von Glück sagen, dass er nicht gegen eine Wand prallt, sondern auf einem weichen Teppich landet. Das Gejaule ist groß. Er leckt sich seine Wunden.
Und sie? Nichts, sage ich. Rein nichts. Sie tut, als ob sie schläft. Das nenne ich eine zuverlässige, loyale Freundin! Ich springe von der Kommode und suche das Weite. Ich habe genug gesehen. Davis humpelt hinter mir her.
Harry und sie – eine unendliche Geschichte. Ist er da, liegen sie über kurz oder lang gemeinsam im Bett. Manchmal bis mittags. Und sie hören nicht auf, sich zu kraulen. Sie sitzen beim Frühstück auf einem Stuhl, als gäbe es nicht genügend Stühle im Haus, er füttert sie, als hätte sie keine Hände mehr, sie liegen gemeinsam in einer Badewanne, als wäre das Wasser knapp, sie schnurren und gurren – wie zwei verliebte Katzen, ja, so muss es sein. Ich selbst war noch nicht verliebt. Und wenn doch, ist es lange her. Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin neidisch, ich gebe es zu.
Nach ein paar Tagen des Grauens gebe ich auf. Ich werde sie aus meinem Leben streichen. Zur Not bringe ich mich auch allein durch. Es gibt genug Mäuse und Vögel in der Gegend. Schlafen kann ich in jedem Schuppen, in jeder Scheune. Ich werde andere Menschen finden, die sich meiner erbarmen, wenn ich nur laut genug vor ihren Fenstern jammere.
Was aus Davis werden soll, weiß ich nicht. Ich kann ihm nicht helfen. Er muss seinen eigenen Weg gehen. Er wird es nicht tun, aber wenn er nur wollte, könnte er mit mir gehen. Und das zählt.
Sie ist von ihrem Ausflug zurückgekehrt, fährt ihr altes Auto wieder in die neue Garage und betritt das Haus. Sie geht an den Kühlschrank und knistert herum. Sie geht vor mir in die Hocke und lockt mich mit Leberwurst. Ah, für ein Stückchen Leberwurst könnte ich ihr vielleicht verzeihen, aber nur, wenn Harry nicht wiederkommt. Eine Chance hat sie verdient. Aber nur eine. Eine einzige.
Ich lasse mich herab und nehme die Leberwurst an. Während sie mir auf der Zunge zergeht, nimmt sie mich hoch, setzt sich auf den Sessel und legt mich auf ihren Schoß. Davis kommt näher und legt sich mit einem langen Seufzer zu ihren Füßen nieder. Ich ahne, was kommt. Sie wird mich kraulen und einen langen Vortrag über Harry halten. Das kenne ich. Die Mühe kann sie sich sparen. Ich genieße die Streicheleinheiten, die Augen fallen mir zu, meine Beine entspannen sich, mein Atem wird regelmäßig, ich trete ein in eine Welt zwischen Tag und Traum.
»Ach, mein kleiner West, sei nicht traurig. Warst du noch nicht verliebt? Ich weiß, dass du Harry nicht magst, aber sag mir, warum nur? Bist du eifersüchtig? Du
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