Spiel mir das Lied vom Wind
mit Fehnerbahçe den 1. FC Köln zu erwähnen?
Schweigend und konzentriert blickte er geradeaus. Es entging ihm aber nicht, dass Sonja den Windrädern, die vor Euskirchen entlang der Autobahn aufgereiht waren, mehr als einen flüchtigen Blick schenkte.
»Also«, sagte er. »Ich finde, Windräder sind doch die reine Stromverschwendung. Windmacher in die Landschaft zu stellen, wozu soll das gut sein? Wind gibt es hier überall genug. Und wenn es keinen gibt, dann stellen sie sie ab.«
Verkehrte Welt! Wie recht er hatte! Wie befreiend es sein konnte, Wahrheiten zu verdrehen! Sonja lachte erleichtert auf.
Bei Wißkirchen verließ das Taxi die A 1 und rollte auf die B 266. Özdemir drosselte die Geschwindigkeit nicht. Es war Entgegenkommen und Neugier, als Sonja sich in der Höhe von Mechernich dafür bedankte, dass er sie nach Köln chauffiert hatte, obwohl er doch wegen jenes Mannes größte Bedenken gehabt hatte. »Was hat er Ihnen denn angetan?«
»Er hängt sein Fähnchen nach dem Wind«, stieß er hervor, und seine Brust bebte.
»Das ist in der Tat eine unangenehme Eigenschaft.«
»Er scheut vor nichts zurück. Er hat sogar schon Beşiktaş trainiert! Zweimal. ‘94 bis ‘96 und 2001 bis 2002.«
»Ich verstehe.« Özdemirs Todfeind war also Fußballtrainer.
»Jetzt hat er den 1. FC Köln wieder verlassen, auch schon zum zweiten Mal, und raten Sie mal, wen er jetzt schon wieder trainiert?«, tobte er.
»Fehnerbahçe?« Sonja wagte sich auf dünnes Eis. Aber es hielt.
Statt zu antworten, schlug Özdemir aufs Lenkrad und erwischte die Hupe. Sein Taxi begann zu schlingern. »Auch zum zweiten Mal. Was soll das? Können Sie mir das erklären? Ich bitte Sie!«, schrie er.
Sonja suchte Schutz an der Beifahrertür. »Immer mit der Ruhe. Ich möchte heil ankommen. Mir tut noch alles weh vom letzten Mal.«
»Entschuldigung«, brummte Özdemir und versuchte, wenigstens dem Straßenverlauf zu folgen, wenn er schon auf keine Geschwindigkeitsbegrenzung Rücksicht nehmen konnte.
Die Wallenthaler Höhe und der dazugehörige Windpark zogen an den Fensterscheiben vorbei, dann ging es steil bergab ins Tal der Urft. Gegenüber Anstois legte Özdemir sich in eine scharfe Rechtskurve und fuhr weiter am Flussufer entlang. Anstois, wo Peter Reiners mit seinen Freunden den Maibaum für Jessica Polzin geschmückt und aufgeladen hatte, zu einer Zeit, als seine Welt noch in Ordnung war.
Am Ortseingang von Gemünd fiel bei Sonja der Groschen. »Jetzt weiß ich, von wem Sie reden, Herr Özdemir! Sie meinen den ...«, sie stockte und schlug die Hand vor den Mund, weil Özdemirs Blick so bedrohlich war, dass sie nicht wagte, den Namen auszusprechen.
Wer kannte ihn nicht? Er war ein bunter Hund. Jedes Kind kannte ihn. »Ich verstehe Sie gut. Ich mag ihn auch nicht, Herr Özdemir«, sagte sie. »Er hat so einen irren Blick.«
Özdemir grinste.
Das Trinkgeld, mit dem Sonja die Rechnung am Ziel großzügig aufrunden wollte, wies er zurück. »Das war Erste Hilfe«, meinte er wieder und reichte ihr seine Karte. »Wenn Sie mal ein Taxi brauchen.«
Im Forsthaus rief sie Wesseling an und durchquerte während des Gesprächs ruhelos alle Räume. Sie lief auch hinauf in den ersten Stock. Im Badezimmer traf sie im Spiegel auf eine telefonierende Sonja Senger, die ein paar Vitamine und weitere Stunden Schlaf vertragen konnte. Sie betastete ihren blauen Fleck auf der Wange und malte mit einem Stift die gerupfte Augenbraue nach. Sie stieß gegen die Truhe der Tränen, als sie das Fenster kippen wollte, und ihr Blick fiel auf die zwei schwarzen Würfel, die sie vor dem Feuer gerettet hatte. Sie lagen immer noch als Fünfer-Pasch. Ein hoher Pasch, aber nicht hoch genug. Da war vielleicht noch mehr drin. Sie hob die Würfel auf und spielte mit ihnen in der Hand.
»Eine Verwechslung also«, hörte sie Wesseling sagen. »Und wo ist, bitte schön, das ganze Geld?«
»Die Bauern haben es nicht, die Melzer hat es nicht, Melinda hat es nicht, van Kessel hat es nicht, die Ölprinten haben es nicht, ich hab es auch nicht, noch Fragen?«
»Das ist doch alles gar nicht überprüft!«, schimpfte Wesseling. »Ich bin es jetzt endgültig leid. Ich werde die ganze Bagage so lange verhören lassen, bis sie gestehen.«
»Gute Idee.« Sonja ließ die Würfel aufs Fensterbrett fallen. Als sie liegen blieben, rief sie erfreut: »Mäxchen!«
»Hast du Besuch?«, fragte er misstrauisch.
»Nein. Einundzwanzig.«
»Wie bitte?«
»Mäxchen, ein Würfelspiel.
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