Spillover
erst einmal beiseite, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kannten sie kein anderes Paramyxovirus, das von Vögeln auf Menschen übergeht. Und zweitens erschien ein anderes Säugetier als Reservoir einfach plausibler angesichts der Tatsache, dass das Virus Menschen und Pferde infizierte. Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Wirtstieren sind ein wichtiger Gradmesser für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erreger den Sprung schafft. Fledertiere (Fledermäuse und ihre Vettern, die Flughunde) sind Säugetiere, und sie kommen weit herum. Außerdem sind sie als Reservoir für mindestens ein Furcht einflößendes Virus bekannt: den Tollwuterreger; Australien galt zu jener Zeit allerdings als tollwutfrei. Field nahm von der Tagung einen neuen Auftrag mit: Sieh dir Fledermäuse und Flughunde an.
Das war leichter gesagt als getan. Fledertiere im Flug oder selbst an ihren Schlafquartieren zu fangen, ist nicht so einfach wie das Fangen von Nagetieren oder kleinen Beuteltieren auf einer Wiese. Die auffälligsten in Queensland heimischen Fledertiere, die auch den größten Aktionsraum haben, sind Flughunde der Gattung Pteropus . Insgesamt kommen hier vier verschiedene Arten von ihnen vor, alles mächtige, Früchte fressende Fledertiere mit einer Flügelspannweite von eineinhalb Metern oder mehr. Ihre Schlafplätze befinden sich üblicherweise in Mangroven, Sümpfen mit Myrtenheiden oder hoch oben im Geäst der Regenwaldbäume. Um sie zu fangen, würde er besondere Hilfsmittel und Methoden brauchen. Da die Ausrüstung nicht sofort zu beschaffen war, wandte Field sich zunächst an das Netzwerk der »Fürsorger«. Diese Leute hatten ja auch Fledertiere in ihrer Obhut. In einer Einrichtung in Rockhampton, südlich von Mackay an der Küste, fand er unter den verwundeten Tieren, die dort versorgt wurden, auch Schwarze Flughunde ( Pteropus alecto ). Und siehe da: Das Blut eines Schwarzen Flughundes enthielt Antikörper gegen Hendra.
Aber ein einzelner Treffer reichte einem so akribischen Wissenschaftler wie Hume Field nicht aus. Sein Befund bewies, dass Schwarze Flughunde mit Hendra infiziert sein können, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass sie auch ein Reservoir – geschweige denn das Reservoir – sind, aus dem die Infektion der Pferde stammte. Er und seine Kollegen suchten weiter. Innerhalb weniger Wochen hatten sie Hendra-Antikörper auch in den drei anderen Pteropus -Arten gefunden: dem Graukopf-Flughund, dem Brillenflughund und dem Kleinen Roten Flughund. Außerdem testete die Arbeitsgruppe am DPI alte Pteropus -Blutproben, die man dort seit mehr als einem Dutzend Jahren archiviert hatte. Auch dabei zeigten sich aufschlussreiche molekulare Spuren von Hendra. Damit war nachgewiesen, dass die Fledertiere schon mit Hendra-Viren in Kontakt gekommen waren, lange bevor die Krankheit bei Vic Rails Pferden zuschlug. Im September 1996 schließlich, zwei Jahre nach der Epidemie bei Rail, verfing sich ein trächtiges Graukopf-Flughundweibchen in einem Drahtzaun.
Das Weibchen verlor in einer Fehlgeburt Zwillingsfeten und wurde eingeschläfert. Es erwies sich im Antikörpertest als positiv, aber nicht nur das: Erstmals konnten die Hendra-Viren direkt aus einem Flughund isoliert werden. Eine Probe der Uterusflüssigkeit enthielt lebende Viren, und die waren von dem Hendra, das man bei Pferden und Menschen gefunden hatte, nicht zu unterscheiden. Das reichte nun auch innerhalb der Grenzen wissenschaftlicher Vorsicht aus, um Flughunde der Gattung Pteropus als »mutmaßliche« Reservoirwirte für Hendra zu benennen.
Je länger Field und seine Kollegen sich umsahen, desto mehr Hinweise auf Hendra fanden sie. In den ersten Untersuchungen hatten sich 15 Prozent der Pteropus -Arten im Test auf Hendra-Antikörper als positiv erwiesen. Diesen Parameter – den Prozentsatz untersuchter Individuen, bei denen sich eine frühere oder aktuelle Infektion nachweisen lässt – bezeichnet man als Seroprävalenz . Sie stellt – wegen der geringen Größe der Stichprobe – zunächst eine Schätzung für den entsprechenden Anteil in der gesamten Population dar. Als das Team seine Untersuchungen weiter vorantrieb, stieg die Seroprävalenz. Nach zwei Jahren hatten Field und seine Mitarbeiter 1043 Vertreter von Pteropus -Arten untersucht und kamen auf eine Seroprävalenz von 47 Prozent. Das heißt, fast die Hälfte der großen Flughunde, die im Osten Australiens herumflatterten, waren Krankheitsüberträger oder früher einmal Krankheitsüberträger
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