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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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gewesen. Es schien fast, als hätten Hendra-Viren vom Himmel regnen müssen.
    Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Befunde in Fachzeitschriften wie dem Journal of General Virology und The Lancet , teilweise gelangten die Informationen aber auch in die Massenmedien. Eine Schlagzeile lautete: »Angst vor Flughundvirus, Pferderennbranche ist alarmiert.« Die Polizeiabsperrungen und die zerlegten Pferde auf dem Anwesen von Rail hatten die Fernsehteams unwiderstehlich angezogen, und ihr Interesse erlahmte nicht. Die Menschen machten sich Sorgen. Die Erkenntnis, dass bestimmte Flughunde die Reservoirwirte waren und dass in ihrer Population eine derart hohe Seroprävalenz herrschte, verschlechterte das öffentliche Image einer Tiergruppe, die bereits in der Vergangenheit Probleme damit gehabt hatte. Die Beliebtheit von Fledertieren ging in Australien nun gegen null.
    Ein angesehener Trainer für Rennpferde teilte mir seine Ansichten dazu an einem sonnigen Samstag zwischen zwei Rennen auf einer Rennbahn in Hendra mit. Hendra-Virus! Der Mann explodierte schon bei der Erwähnung des Namens. Das dürfen sie nicht erlauben! Mit »sie« meinte er nicht genauer benannte Behörden. Sie sollten diese Fledermäuse ausrotten . Die Fledermäuse verursachen die Krankheit und sind sonst zu nichts nütze. Wir müssen sie beseitigen ! Warum passiert das nicht? Weil die sentimentalen Grünen dagegen sind! Und so polterte er in einem fort.
    Dieser Trainer, eine legendäre Gestalt des australischen Pferderennsports, war ein untersetzter, großspurig auftretender Achtzigjähriger, der seine grauen Haare nach Dandy-Art zurückgekämmt hatte. Gerechtigkeitshalber muss ich hinzufügen, dass kurz vor unserem Gespräch ein weiterer Tierarzt aus Queensland an Hendra gestorben war, das er sich bei der Behandlung erkrankter Pferde zugezogen hatte. Die Lebensgefahr für Menschen, die mit Pferden zu tun hatten, und die wirtschaftliche Gefahr für die gesamte australische Pferderennbranche waren zweifellos groß.
    Zu den »sentimentalen Grünen« zählte der Pferdemann auch die Fürsorger. Aber selbst unter diesen ausgesprochenen Tierfreunden wuchsen aufgrund der immer neuen Befunde die Bedenken. Sie hatten zwei große Sorgen: zum einen dass die Fledertiere wegen des Virus noch unbeliebter werden könnten, was möglicherweise zu Forderungen (wie der des Trainers) nach ihrer Ausrottung führen würde, und zum anderen dass sie sich bei ihrer gut gemeinten Arbeit selbst infizieren könnten. Mehrere Fledertier-Fürsorger baten darum, auf Antikörper gegen Hendra getestet zu werden; dies ebnete den Weg für eine groß angelegte Untersuchung, die von Linda Selvey, einer jungen Epidemiologin der University of Queensland, sehr schnell organisiert und in Angriff genommen wurde.
    Selvey setzte sich mit dem Netzwerk der Wildtier-Fürsorger im Südosten Australiens in Verbindung und fand schließlich 128 Fledertier-Freunde, die bereit oder sogar erpicht darauf waren, sich testen zu lassen. Zusammen mit ihrem Feldteam nahm sie den Versuchspersonen Blut ab und ließ sie parallel dazu einen Fragebogen ausfüllen. Aus den Antworten ging hervor, dass viele dieser Menschen über lange Zeit engen Kontakt mit den verdächtigen Flughund-Arten gehabt hatten – sie hatten die Tiere gefüttert und in die Hand genommen, wobei sie nicht selten gekratzt oder gebissen worden waren. Ein Fürsorger hatte von einem Hendra-positiven Tier einen tiefen Biss in die Hand erhalten. Selveys Untersuchung erbrachte ein unerwartetes Ergebnis: Der Prozentsatz Hendra-positiver Personen unter den getesteten 128 Fürsorgern lag bei – null. Trotz monate- oder jahrelangen Umgangs mit den Tieren, trotz Kratzern und Bissen, trotz Kontakt mit Speichel und Blut war bei keinem einzigen ein immunologischer Hinweis auf eine Infektion mit dem Hendra-Virus zu erkennen.
    Selveys Bericht erschien im Oktober 1996. Zu jener Zeit war sie Doktorandin. Später wurde sie Leiterin der Abteilung für übertragbare Krankheiten in der Gesundheitsbehörde von Queensland. Noch später sitzen wir in einem belebten Café in Brisbane zusammen, und ich frage sie: Wer sind diese Fledertier-Fürsorger?
    »Ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll«, erwiderte Selvey. »Es sind vermutlich Leute mit einer besonders ausgeprägten Tierliebe.« Im Allgemeinen versorgen sie die Tiere bei sich zu Hause. Sie haben dort einen geräumigen, komfortablen Käfig, in dem die Fledertiere schlafen können, wenn sie nicht gerade

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