Spillover
umsorgt werden. Dass Selvey in ihrer Studie keinen einzigen Fall einer Infektion bei Menschen entdeckt hatte, erschien mir angesichts einer so engen Beziehung zwischen Fledertieren und Menschen in Verbindung mit der hohen Seroprävalenz unter den Flughunden rätselhaft. Keine einzige Antikörper-positive Person unter 128 Fürsorgern. Was, so fragte ich sie, sagt das über die Eigenschaften des Virus aus?
»Dass es eine Art Verstärker braucht«, sagte sie in Anspielung auf die Pferde.
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Unfreiwillige Verstärker
Denken wir einmal kurz an die Maul- und Klauenseuche. Von dieser Krankheit hat jeder schon einmal gehört. Manch einer hat vielleicht den Film Hud (dt. Der Wildeste unter Tausend ) mit Paul Newman gesehen. Aber kaum jemand weiß, dass es sich bei der Maul- und Klauenseuche zumindest potenziell um eine Zoonose handelt. Ihr Erreger, das FMD -Virus, gehört zu den Picornaviren und damit zu derselben Gruppe wie das Poliovirus und einige Erreger, die für die gewöhnliche Erkältung verantwortlich sind. Aber eine Infektion mit dem FMD -Virus ist bei Menschen ein seltener Unglücksfall, der kaum einmal größere Folgen hat als einen Ausschlag auf Händen, Füßen und Mundschleimhaut. Häufiger und folgenschwerer sind Infektionen bei Haus- und Wildtieren, die zu den Paarhufern gehören, wie Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine oder Hirsche, Elche und Antilopen. Die wichtigsten klinischen Symptome sind Fieber, Lahmen und kleine Blasen im Mund, auf der Schnauze sowie an den Füßen. Bei Weibchen, die ihre Jungen säugen, bilden sich die Blasen manchmal auch auf den Zitzen. Die Sterblichkeit ist bei der Maul- und Klauenseuche relativ niedrig, aber die Krankheit erreicht innerhalb einer Population oft einen hohen Durchseuchungsgrad, das heißt, sehr viele Tiere werden krank. Kranke Nutztiere fressen nicht mehr, was zu einem Produktivitätsrückgang führt, der in Unternehmen mit schmalen Gewinnmargen eine Katastrophe bedeuten kann. Wegen solcher Verluste und der großen Ansteckungsgefahr werden infizierte Nutztierbestände oft komplett getötet (»gekeult«), damit sich das Virus nicht weiterverbreiten kann. Niemand will die Tiere kaufen, die möglicherweise die Krankheit übertragen, und der Export sinkt auf null. Kühe, Schafe und Schweine werden wertlos, und noch schlimmer: Sie werden zu einer teuren Last. »Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist sie die wichtigste Tierkrankheit der Welt«, erklärt eine maßgebliche Quelle, nach deren Angaben »eine Maul-und-Klauenseuchen-Epidemie in den Vereinigten Staaten einen Schaden von bis zu 27 Milliarden Dollar in Form des Verlustes von Einnahmen und Marktanteilen anrichten kann«. 4 Das Virus verbreitet sich durch direkten Kontakt, über Exkremente und über die Milch, kann aber auch durch Tröpfcheninfektion übertragen werden. Der Wind kann es von einem Bauernhof zum nächsten tragen.
Bei den verschiedenen Tierarten hat die Maul- und Klauenseuche unterschiedliche Auswirkungen. Schafe tragen die Infektion in der Regel weiter, ohne selbst Symptome zu bekommen. Rinder leiden erkennbar und geben das Virus untereinander weiter, beispielsweise von Schnauze zu Schnauze oder beim Säugen. Ein Sonderfall sind Schweine: Sie scheiden weit größere Virusmengen aus als andere Nutztiere und verteilen die Erreger mit ihrer Atemluft. Sie stoßen es aus, wenn sie niesen, schnaufen oder grunzen. Wie sich in einer experimentellen Studie herausstellte, enthält die Ausatemluft von Schweinen dreißigmal so viele FMD -Viren wie die einer infizierten Kuh oder eines Schafes, und wenn die Erreger einmal in der Luft sind, können sie sich kilometerweit verbreiten. Das ist der Grund, warum Schweine für dieses Virus als Verstärkerwirte eingestuft werden.
Als Verstärkerwirt bezeichnet man ein Lebewesen, in dem sich Viren oder andere Krankheitserreger besonders üppig vermehren – und dann ausgeschieden werden. Irgendetwas in der Physiologie des Wirts oder seines Immunsystems muss für diese besondere Erregerfreundlichkeit verantwortlich sein, vielleicht auch frühere Wechselbeziehungen zu dem Erreger. Man weiß es nicht genau. Der Verstärkerwirt wird zu einem Bindeglied zwischen dem Reservoirwirt und dem späteren Opfer, dem unglückseligen Tier, in dem die Infektion erst bei einer höheren Erregerdosis oder engerem Kontakt Fuß fassen kann. Hier spielt der Begriff »Schwellenwert« eine zentrale Rolle. Wenige Erreger genügen, um den Verstärkerwirt zu infizieren, dieser produziert das
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