Spin
griffen zur Pistole, erklärten sich auf kurze Entfernung und hinterließen eine rote Rose auf dem Körper des Opfers. Es war die Trübsalszeit, neu inszeniert als elisabethanisches Drama.
Simon Townsend, wäre er zehn Jahre später zur Welt gekommen, hätte sich vielleicht in einer dieser Spielarten von Spiritualität à la Quentin Tarantino wiedergefunden. Doch das Scheitern von NK hatte ihn desillusioniert und ihm die Sehnsucht nach etwas Schlichterem eingeimpft. Diane rief mich noch immer von Zeit zu Zeit an – vielleicht einmal im Monat, wenn die Vorzeichen günstig waren und Simon außer Haus –, um mich auf den neuesten Stand zu bringen oder einfach von früher zu reden, in den Erinnerungen zu stochern wie in der Ofenglut und sich daran zu wärmen. Zu Hause gab es offenbar nicht allzu viel Wärme, wenn sich auch die finanzielle Situation ein wenig verbessert hatte. Simon arbeitete Vollzeit beim Jordan Tabernacle, ihrer kleinen unabhängigen Kirche, und war zuständig für Wartungsarbeiten aller Art. Diane hatte einen Bürojob, eine unregelmäßige Tätigkeit, die ihr viel Zeit ließ, unruhig in der Wohnung herumzupusseln oder in die örtliche Bibliothek zu schleichen, um Bücher zu lesen, die Simon missbilligte: zeitgenössische Romane, aktuelle Sachbücher. Jordan Tabernacle, erklärte sie, sei eine Art »Aussteiger«-Kirche, die Gemeindemitglieder würden ermuntert, den Fernseher abzuschaffen und sich von Büchern, Zeitungen und anderen kurzlebigen kulturellen Erscheinungen fernzuhalten. Anderenfalls sie Gefahr liefen, der Entrückung in einem unreinen Zustand zu begegnen.
Diane verteidigte diese Ideen nicht – nie sprach sie zu mir im Predigerton –, aber sie beugte sich ihnen, vermied es aufs Sorgfältigste, sie in Zweifel zu ziehen. Manchmal verlor ich darüber ein bisschen die Geduld. »Diane«, sagte ich eines Abends. »Glaubst du ernsthaft an dieses ganze Zeug?«
»Welches Zeug, Tyler?«
»Such’s dir aus. Keine Bücher im Haus zu haben. Die Hypothetischen als Auslöser der Parusie. Dieser ganze Scheiß.« Ich hatte unter Umständen ein Bier zu viel getrunken.
»Simon glaubt daran.«
»Ich hab dich nicht nach Simon gefragt.«
»Simon ist gläubiger als ich, und ich beneide ihn darum. Ich weiß, wie sich das anhören muss. Wirf diese Bücher in den Müll – als würde er sich grässlich und arrogant aufführen. Eigentlich aber ist es ein Akt der Demut, ein Akt der Unterwerfung. Simon kann sich Gott auf eine Weise hingeben, die mir verschlossen ist.«
»Der Glückspilz.«
»Er ist ein Glückspilz. Du kannst es nicht sehen, aber er ist friedlich und gelassen. Er hat bei Jordan sein inneres Gleichgewicht gefunden. Er kann dem Spin ins Gesicht sehen und dabei lächeln, weil er weiß, dass er gerettet ist.«
»Was ist mit dir? Bist du nicht gerettet?«
Sie ließ ein langes Schweigen durch die Telefonleitung kriechen. »Ich wünschte, das wäre eine einfach zu beantwortende Frage. Ganz im Ernst. Ich denke immer wieder, dass es vielleicht gar nicht um meinen Glauben geht, vielleicht reicht Simons Glauben für uns beide aus. Weil er so stark ist, dass ich ein Stück weit davon getragen werde. Er ist wirklich sehr geduldig mit mir. Das Einzige, worum wir uns streiten, ist die Kinderfrage. Simon würde gern Kinder haben. Die Kirche ermuntert dazu. Und ich kann das verstehen, aber solange das Geld so knapp ist und – na ja – die Welt so ist, wie sie ist…«
»Das ist keine Entscheidung, die man unter Druck treffen sollte.«
»Ich wollte nicht andeuten, dass er mich unter Druck setzt. Leg es in Gottes Hände, sagt er. Leg es in Gottes Hände, und es wird gut werden.«
»Aber du bist zu klug, um das zu glauben.«
»Bin ich das? O Tyler, ich hoffe nicht. Ich hoffe wirklich, dass ich das nicht bin.«
Molly hingegen hatte keine Verwendung für »diesen ganzen Gott-Mist«, wie sie es nannte. Jeder ist seines Glückes Schmied, war ihre Philosophie. Vor allem, wenn die Welt in die Binsen gehe und keiner von uns älter als fünfzig werden würde. »Ich habe nicht die Absicht, bis dahin auf den Knien herumzurutschen.«
Sie war von Natur aus zäh. Sie kam aus einer Familie von Milchbauern, die einen zehnjährigen Rechtsstreit geführt hatte wegen eines Projekts zur Ölförderung aus Teersand, das an ihr Land grenzte und es langsam vergiftete. Im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung tauschten sie am Ende ihr Land gegen eine Abfindung, die groß genug war, um für einen sorgenfreien
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