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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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von der Erde her kannte. Nach einhunderttausend Jahren der Abgeschiedenheit hatte der Mars schließlich doch die Aufmerksamkeit der gesichtslosen, omnipotenten Wesen erregt, mit denen er sich das Sonnensystem teilte, und die Schlussfolgerung – dass der Mars bald eine eigene Spinmembran bekommen würde – war unausweichlich. Starke gesellschaftliche Kräfte plädierten für eine Kontaktaufnahme mit der verhüllten Erde. Die knappen Ressourcen wurden auf dieses Ziel hin konzentriert. Ein Raumschiff wurde entworfen und montiert. Und Wun Ngo Wen, ein Gelehrter, der umfassende Kenntnisse von den noch vorhandenen Bruchstücken der terrestrischen Geschichte und Sprache besaß, wurde verpflichtet, die Reise anzutreten – zu seinem Kummer.
    Wun Ngo Wen fand sich, während er seinen Körper auf die Beengtheit und die Entkräftigung der langen Reise durch den Raum und die Härten der hohen Schwerkraft auf der Erde vorbereitete, mit der Wahrscheinlichkeit des eigenen Todes ab. Er hatte seine Familie fast vollständig beim Kirioloj-Hochwasser vor drei Sommern verloren – ein Grund, warum er sich überhaupt als Freiwilliger hatte registrieren lassen, und ein Grund, warum er ausgewählt worden war; für ihn war das Risiko des Todes leichter zu tragen als für die meisten anderen. Trotzdem konnte man nicht behaupten, dass er dem Tod freudig entgegensah, vielmehr hoffte er, ihm ein Schnippchen schlagen zu können. Er trainierte hart. Er machte sich mit den Feinheiten und Eigenarten seines Schiffes vertraut. Und falls die Hypothetischen den Mars tatsächlich in ihre Arme schlossen – nicht dass er sich so etwas erhofft hätte –, bedeutete das, dass sich ihm sogar die Chance auf eine Rückkehr eröffnete, und zwar nicht auf einen Planeten, der ihm in Millionen von Jahren fremd geworden war, sondern in sein vertrautes, gegen die Erosion der Zeit konserviertes Zuhause mit allen Erinnerungen und Verlusten.
    Obwohl natürlich nicht mit einer Rückkehr gerechnet wurde. Wuns Schiff war auf eine Einzelfahrt ausgerichtet. Falls er tatsächlich je zum Mars zurückkehren sollte, dann nur mit Hilfe der Erdbewohner, die, so glaubte Wun jedenfalls, extrem großzügig würden sein müssen, um ihn mit einer Rückfahrkarte auszustatten.
    Und so hatte er seinen, wie zu vermuten stand, letzten Blick auf den Mars – das windgepeitschte Flachland von Basalt-Trocken, Odos on Epu-Epia – ordentlich ausgekostet, bevor er in die Flugkammer der vergleichsweise primitiven vielstufigen Eisen-und-Keramik-Rakete eingeschlossen wurde, die ihn ins All hinaustrug.
    Den Großteil der Reise verbrachte er in einem Zustand medikamentös herbeigeführter Stoffwechselträgheit, dennoch war es eine aufreibende Geduldsprobe. Die marsianische Spinmembran wurde in Stellung gebracht, während er unterwegs war, und so war Wun für den Rest des Fluges isoliert, durch die zeitliche Diskontinuität von beiden menschlichen Welten abgeschnitten: der vor ihm und der hinter ihm. Der Tod mochte schrecklich sein, aber konnte er sich wesentlich von diesem Ruhiggestelltsein unterscheiden, dieser drückenden Verwahrung in einer winzigen Maschine, die endlos durch ein unmenschliches Vakuum stürzte?
    Die Stunden geistiger Klarheit nahmen ab. Er suchte Zuflucht in Tagträumen und erzwungenem Schlaf.
    Sein Schiff, in vielerlei Hinsicht primitiv, aber mit ausgefeilten und halbintelligenten Steuerungsgeräten ausgestattet, verbrauchte den Großteil seiner Treibstoffreserven beim Eintritt in die hohe Umlaufbahn um die Erde. Der Planet unter ihm war ein schwarzes Nichts, sein Mond eine große Scheibe. Mikroskopische Sonden nahmen Proben aus der Erdatmosphäre, generierten rotverschobene Entfernungsmessungen, bevor sie im Spin verschwanden, gerade genug Daten, um einen Eintrittswinkel zu errechnen. Das Schiff war mit einer stattlichen Reihe von aerodynamischen Bremsen und gezielt einsetzbaren Fallschirmen ausgerüstet, und mit ein bisschen Glück würde es ihn durch die dichte und turbulente Luft zur Oberfläche des gewaltigen Planeten tragen, ohne dass er geröstet wurde oder es ihn zerschmetterte. Aber es kam eben sehr viel aufs Glück an. Zu viel, wie Wun fand. Er stieg in ein Fass mit schützendem Gel und leitete den endgültigen Abstieg ein, ganz und gar darauf gefasst, zu sterben.
    Als er wieder aufwachte, lag sein nur leicht verkohltes Schiff friedlich in einem Rapsfeld, umgeben von merkwürdig blassen und glatthäutigen Menschen, einige davon in einem Aufzug, den er als

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