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Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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als habe er etwas sehr Amüsantes gesagt.
     
    In jenem Sommer ging ich hin und wieder am Strand spazieren, der von meinem Haus aus auf der anderen Seite des Highways lag.
    Es war kein besonders toller Strand. Eine lange, unbebaute Landzunge schützte ihn vor Erosion und machte ihn für Surfer uninteressant. An heißen Nachmittagen begutachteten die alten Motels den Sand mit glasigen Augen, und ein paar schüchterne Touristen badeten ihre Füße in der Brandung.
    Ich ging hinunter und setzte mich auf das heiße Holz eines über struppigem Gras schwebenden Laufstegs, um zuzusehen, wie sich die Wolken am östlichen Horizont versammelten, und über das nachzudenken, was Molly gesagt hatte: dass ich immer so gelassen täte, was den Spin – und die Lawtons – anging, und einen Gleichmut vor mich her trüge, der schlechterdings nicht echt sein konnte.
    Ich wollte Molly Gerechtigkeit widerfahren lassen; vielleicht war das wirklich der Eindruck, den ich auf sie machte.
    »Spin« war ein dummer, aber wohl unvermeidlicher Ausdruck für das, was mit der Erde geschehen war. Physikalisch gesehen lag er völlig daneben – es gab nichts, was sich schneller oder irgendwie heftiger drehte als früher –, doch als Metapher mochte er funktionieren. In Wirklichkeit war die Erde statischer als je zuvor – aber fühlte es sich nicht so an, als würde sie außer Kontrolle geraten? In jeder gewichtigen Hinsicht: ja. Man musste sich an irgendetwas festhalten, wenn man nicht ins Nichts trudeln wollte.
    Vielleicht hielt ich mich also an den Lawtons fest, nicht nur an Jason und Diane, sondern an ihrem gesamten Universum, das Große Haus und das Kleine Haus, die verlorenen Kindheitsbindungen. Vielleicht war das der einzige Griff, den ich zu fassen kriegen konnte. Und vielleicht war das nicht unbedingt etwas Schlechtes. Wenn Molly Recht hatte, dann mussten wir uns alle an irgendetwas klammern, sonst waren wir verloren. Diane hatte sich an den Glauben geklammert, Jason an die Wissenschaft.
    Und ich hatte mich an Jason und Diane geklammert.
    Ich verließ den Strand, als die Wolken heraufzogen; der unvermeidliche Augustnachmittagsschauer näherte sich, am östlichen Himmel tobten bereits die Blitze, der Regen begann die traurigen Pastellbalkone der Motels zu peitschen. Als ich dann nach Hause kam, war ich klatschnass, und die Kleidung brauchte Stunden, um in der feuchten Luft zu trocknen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war der Sturm vorbei; er hinterließ eine übel riechende, dampfende Stille.
    Nach dem Essen kam Molly und wir luden uns einen aktuellen Film herunter, eines von diesen viktorianischen Salonstücken, die sie so gern sah. Hinterher ging sie in die Küche, um uns Drinks zu mixen, während ich vom Telefon im Gästezimmer aus David Malmstein anrief. Er sagte, er würde Jason gern sehen, »so bald es sich einrichten lässt«, meinte aber, es sei in Ordnung, die Medikamentendosis ein bisschen zu erhöhen, solange Jase wie auch ich ein wachsames Auge auf eventuelle negative Reaktionen hätten.
    Nach dem Gespräch verließ ich das Zimmer wieder und fand Molly im Flur, in jeder Hand ein Getränk und im Gesicht Verwirrung. »Wo warst du?«
    »Hab nur mal eben telefoniert.«
    »Irgendwas Wichtiges?«
    »Nein.«
    »Patientenkontrolle?«
    »So ungefähr«, sagte ich.
     
    Einige Tage später arrangierte Jason ein Treffen zwischen mir und Wun Ngo Wen in Wuns Unterkunft bei Perihelion.
    Der marsianische Botschafter wohnte in einem Zimmer, das er, mit Hilfe von Katalogen, ganz nach seinem eigenem Geschmack eingerichtet hatte. Die Möbel waren leichtgewichtig, Rattan, niedrig gebaut; ein Flickenteppich bedeckte den Linoleumfußboden, auf einem schlichten Schreibtisch aus unbehandeltem Kieferholz stand ein Computer; es gab mehrere zum Schreibtisch passende Bücherborde. Marsianer richteten sich offenbar genauso ein wie jung verheiratete Studenten.
    Ich versorgte Wun mit dem Studienmaterial, das er sich gewünscht hatte: Bücher über Ätiologie und Behandlung der multiplen Sklerose, dazu eine Reihe von Sonderdrucken der JAMA über AMS. AMS hatte nach neuerer Auffassung gar nichts mit MS zu tun; es war eine völlig andere Krankheit, eine genetische Funktionsstörung mit MS-artigen Symptomen und einem ähnlichen Verschleiß der Myelinhüllen, die das menschliche Nervengewebe schützen; erkennbar an der Schwere der Symptome, dem raschen Fortschreiten und der Resistenz gegen die Standardbehandlung. Wun erklärte, er sei mit dem beschriebenen Zustand

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