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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ich rechnete damit, dass es eine falsche Verbindung war. Ich hoffte, das ich Dianes Stimme hören würde. Hoffte es und hatte zugleich Angst davor.
    Doch es war eine Männerstimme am anderen Ende. Simons Stimme, wie ich mit etwas Verspätung erkannte.
    »Tyler? Tyler Dupree? Bist du das?«
    Ich hatte in meinem Leben genug Notrufe entgegengenommen, um die Besorgnis in seiner Stimme wahrzunehmen. »Ja, ich bin’s, Simon. Was ist los?«
    »Ich dürfte gar nicht mit dir sprechen, aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Ich kenne keine Ärzte hier in der Gegend. Und es geht ihr so schlecht. Sie ist krank, Tyler! Ich glaube nicht, dass es besser wird. Ich glaube, sie braucht…«
    Dann wurde die Verbindung durch das Flackern unterbrochen und es war nur noch Rauschen in der Leitung.

 
4x 10 9 N. CHR.
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    Hinter Diane kamen En und zwei Dutzend seiner Cousins und Cousinen sowie noch einmal die gleiche Anzahl von Fremden, alle unterwegs in die neue Welt. Jala trieb sie hinein, dann schob er die gewellte Stahltür des Lagerhauses zu. Gleich wurde es wieder dunkler. Diane legte einen Arm um mich, und ich führte sie zu einem halbwegs sauberen Platz unter einer der Halogenidlampen. Ibu Ina entrollte einen leeren Jutesack, auf den sie sich legen konnte.
    »Der Lärm«, sagte Ina.
    Diane legte sich hin und schloss die Augen, sie war sichtlich erschöpft. Ich knöpfte ihre Bluse auf und begann, mit aller Vorsicht, sie von der Wunde zu lösen. »Mein Arztkoffer…«
    »Ja, natürlich.« Ina schickte En die Treppe hinauf, damit er uns beide Taschen brachte, ihre und meine. »Der Lärm…«
    Diane zuckte zusammen, als ich den verfilzten Stoff von dem geronnenen Blut der Wunde zog, aber ich wollte ihr kein Medikament verabreichen, bevor ich nicht das Ausmaß der Verletzung gesehen hatte. »Welcher Lärm?«
    »Auf den Docks müsste um diese Zeit ein gewaltiger Lärm herrschen. Aber es ist ruhig. Man hört nichts.«
    Ich hob den Kopf. Ina hatte Recht. Es waren keinerlei Geräusche zu hören außer den nervösen Unterhaltungen der Minang-Dorfbewohner und einem leisen Trommeln, das der Regen auf dem hohen Metalldach veranstaltete. Aber das war nicht der Augenblick, sich darüber Gedanken zu machen. »Am besten fragen Sie Jala. Vielleicht weiß er, was los ist.«
    Dann wandte ich mich wieder Diane zu.
     
    »Es ist nur äußerlich«, sagte Diane. Sie holte tief Luft, die Augen vor Schmerz zusammengekniffen. »Nur ein Kratzer. Glaub ich jedenfalls.«
    »Das sieht nach einer Schusswunde aus.«
    »Ja. Die Reformasi haben Jalas Unterschlupf in Padang aufgespürt. Zum Glück waren wir gerade dabei, uns aus dem Staub zu machen. Uh!«
    Sie hatte Recht. Es war nur eine Fleischwunde, die allerdings genäht werden musste. Die Kugel war durch das Gewebe knapp oberhalb des Hüftknochens gedrungen, der Einschlag hatte, wo die Haut nicht aufgerissen war, böse Prellungen verursacht, und es bestand die Möglichkeit, dass der Bluterguss sehr tief reichte, dass durch die Erschütterung eins der inneren Organe geschädigt worden war. Sie habe kein Blut im Urin gehabt, sagte sie, und sowohl Blutdruck als auch Puls bewegten sich in einem den Umständen entsprechenden Bereich.
    »Ich werde dir etwas gegen die Schmerzen geben. Und das hier müssen wir zunähen.«
    »Näh es zu, wenn du musst, aber ich will keine Medikamente. Wir müssen hier weg.«
    »Du willst doch nicht, dass ich dich ohne Betäubung zusammenflicke.«
    »Dann eben was Örtliches.«
    »Wir sind hier nicht im Krankenhaus. Für eine örtliche Betäubung habe ich nichts dabei.«
    »Dann näh einfach los, Tyler. Ich halte das schon aus.«
    Ja, aber konnte ich es auch? Ich sah meine Hände an. Sie waren sauber – es gab fließendes Wasser im Waschraum der Lagerhalle –, und Ina half mir, die Latexhandschuhe überzustülpen, bevor ich Diane verarztete. Sauber waren sie also. Aber nicht gerade ruhig.
    Ich war nie zimperlich gewesen, was meine Arbeit betraf. Schon als Medizinstudent und selbst beim Sezieren war ich imstande gewesen, das Gefühl auszuschalten, das uns den Schmerz eines anderen mitempfinden lässt, als sei es unser eigener. So zu tun, als sei die gerissene Arterie, die meiner Behandlung bedurfte, nicht mit einem lebendigen Menschen verbunden. So zu tun – und es während der erforderlichen Minuten auch wirklich zu glauben.
    Doch jetzt zitterte meine Hand, und die Vorstellung, eine Nadel durch diese blutigen Fleischränder zu stoßen, erschien mir brutal,

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