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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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der Polizeiwache ins Krankenhaus geschickt worden? Diese Überlegungen halfen ihm, sich normal zu fühlen.
    Was erwartete ihn? Sie würden ihn über seine Kindheit ausfragen … ein vorhersehbarer freudscher Trick. Der Tod seines Vaters, der Tod seiner Mutter. Seine Tante aus der Vorstadt, ein Sozialfall. Sie war die Schwester seiner Mutter, sie hasste Ottos Vater, ihren schwarzen Schwager. Sie verstand nicht, warum es ausgerechnet einer von denen hatte sein müssen, wie sie sich ausdrückte. Ihr eigener, völlig verkommener Mann guckte den ganzen Tag Sport, Otto und sein jüngerer Bruder Martin mussten ihm das Bier aus dem Laden holen … Bilder der beiden Jungen, sie zogen ihre Koffer hinter sich her, wurden von einer Pflegefamilie zur nächsten geschickt. Und dann Martins Tod. Er hatte sich freiwillig gemeldet und war im Krieg gefallen, er hatte sein Leben fortgeworfen, so Otto, um die Hegemonie eines Imperialstaats zu erhalten. Seine Leiche wurde nie gefunden.
    Diese Befragung würde sich nur unwesentlich von der letzten unterscheiden. Doch während die Polizisten ihn grün und blau geschlagen hatten, würden die Psychologen ihn mit ihrer berufsbedingten Arroganz einzuschüchtern versuchen. Durch die Schläge und Tritte war er in gewisser Weise gewappnet, die Psychologen sollten nur kommen. Schließlich waren es die handfesten Auseinandersetzungen, die ihm am meisten gefehlt hatten, als er dem Kampf abschwor und mit Aisha den Rückzug in die Natur erprobte. Doch dann fiel ihm ein, was Aisha damals gesagt hatte: Wir können jederzeit wieder einsteigen. Die Welt wird nicht besser. Es wird immer etwas geben, für das es sich zu kämpfen und zu sterben lohnt.
    Die Tür ging auf, ein Mann und eine Frau traten ein. Otto hätte am liebsten laut aufgelacht, als er ihre weißen Zähne sah. Verdammt, eindeutig Nichtraucher! Er betrachtete sie eingehend, der Mann war wohl Ende vierzig, die Frau war blond und attraktiv und wesentlich jünger. Sie hatte einen Bleistift in der Hand, drückte ihren Schreibblock an die Brust und schien sehr begierig, mit dem Protokoll zu beginnen.
    Guten Tag, sagte der Mann. Ich heiße Dr. Wu. Das hier ist Geneviève, sie macht bei uns ein Praktikum. Wenn Sie nichts dagegen haben, wird sie bei unseren Gesprächen dabei sein.
    Otto sagte nichts.
    Wie fühlen Sie sich?
    Ich möchte eine rauchen.
    Ich rauche nicht. Ms Geneviève, Sie vielleicht?
    Die Praktikantin schüttelte den Kopf.
    Ich habe mir Ihre Akte angesehen … aber erlauben Sie mir, zuerst ein paar Fragen zu stellen. Es sind Fragen, die wir allen unseren Patienten stellen. Er warf der Praktikantin einen Blick zu, sie hörte kurz auf zu kritzeln und senkte zum Einverständnis den Kopf.
    Kommt es vor, dass Sie Stimmen hören?, fragte Dr. Wu.
    Nein, antwortete Otto schroff.
    Erleben Sie manchmal Episoden? Ich meine damit: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie von Ihrer Umwelt abgeschieden sind?
    Nein, habe ich nicht.
    Gut. Haben Sie manchmal die Vorstellung, dass Sie als Gott unter Göttern leben?
    Nein.
    Glauben Sie an Gott oder an bestimmte Götter?
    Nein. Wenn Sie es so genau wissen wollen: Ich bin Atheist.
    Sehr interessant. Mr … Blake, nicht wahr?
    Otto.
    Glauben Sie, dass Sie selbst Gott sind?
    Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, dass ich Atheist bin. Warum soll ich glauben, dass ich nicht existiere?
    Können Sie mit Sicherheit sagen, dass Sie existieren?
    Das könnte ich nur, wenn ich eine Zigarette hätte und Rauch zwischen den Lippen.
    Mr Blake. Versuchen wir nun, die Ereignisse chronologisch zu rekonstruieren, die Sie hierher geführt haben.
    Ich könnte wirklich eine Zigarette vertragen: um den Hunger zu unterdrücken. Ich habe nämlich seit heute Morgen nichts zu essen bekommen. Ich halte das für eine Verletzung der Rechte eines Gefangenen. Da haben Sie Ihre Chronologie.
    Sie glauben also, dass man Sie hier gefangen hält?
    Ich glaube, dass Sie mich für einen Gefangenen halten. Zumindest behandeln Sie mich so.
    Ganz und gar nicht, Mr … Otto. Wir möchten Ihnen helfen. Ich möchte aber noch einmal zu dem zurückkehren, was wir gerade gesagt haben. Stimmt es, dass Sie auf der Polizeiwache Ihren Namen als Gott angegeben haben? Ist das hier Ihre Handschrift?
    Es war ironisch gemeint.
    Verstehe. Ich möchte Ihnen gern glauben, aber meine Sorge gilt zuerst einmal dem Thema Ihrer Autoaggression.
    Ich bin zusammengeschlagen worden, wenn Sie das meinen.
    Im Polizeibericht steht, dass man Sie allein im Verhörraum

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