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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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gelassen hat und dass es Ihnen gelungen ist, sich selbst zu verletzen.
    Ich bin brutal zusammengeschlagen worden, habe ich doch gerade gesagt. Ich möchte einen Anwalt sprechen, ich verlange, dass meine Verletzungen untersucht werden und dass man sie mit dem Knüppel des Bullen vergleicht. Hören Sie mir zu, Doktor? Ich bin geschlagen und getreten worden, ich bin ein Opfer von Polizeibrutalität. Nicht das erste, wie Sie wissen. Ich werde den Blödsinn hier nicht mitmachen, wenn ich nicht mit einem Anwalt sprechen darf.
    Nun, Mr Otto, es ist schade, dass Sie nicht mit uns kooperieren möchten. Sie müssen verstehen, dass wir in dem Fall gezwungen sind, uns um Ihren geistigen Zustand zu kümmern, bevor die juristische Seite geklärt wird.
    Verdammt, Sie Arschloch, ich will jetzt einen Anwalt haben!
    Ist gut, Mr Otto. Wir sind hier also jetzt fertig. Ich kümmere mich darum, dass Sie versorgt werden und nicht Hunger leiden müssen. Und meine Zigaretten, rief Otto, die Praktikantin hielt bereits die Tür auf, der Doktor eilte hinaus.
    Ein gigantischer Wärter führte Otto in die Zelle zurück und blieb bei ihm, bis die Krankenschwester kam. Sie reichte ihm einen kleinen Plastikbecher. Das sind Ihre Medikamente, sagte der Riese, ein Flaschengeist, der gerade erst dem Rauch entstiegen war. Hat der Arzt verschrieben. Müssen Sie dreimal am Tag nehmen. Es gibt hier keinen Spielraum. Alle verschriebenen Medikamente werden geschluckt. Ich rate Ihnen was. Versuchen Sie nicht, eine Tablette zu unterschlagen. Ich bleibe hier, bis Sie alles geschluckt haben. Wirklich kein Spielraum. Sie legen die Tablette auf die Zunge und zeigen sie mir. Dann schlucken Sie sie runter, und zwar sofort. Wenn Sie die Pillen geschluckt haben, fordere ich Sie auf, den Mund noch einmal aufzumachen. Ich werde den Mundraum untersuchen. Die Tabletten müssen runtergeschluckt werden. Versuchen Sie keine Tricks. Versuchen Sie nicht, um die Tabletten herumzukommen. Glauben Sie mir, wir haben auch andere Möglichkeiten sicherzustellen, dass die Medikamente ihre Wirkung tun.
    Die Tabletten machten Otto benommen, er nahm seine Umgebung wie durch einen Schleier wahr. Schließlich gab er seinen Widerstand auf und legte sich auf das Bett. Er verbrachte Monate in diesem Zustand, ein wachschlafender Vampir am Rand des Bewusstseins. Als seine Blutergüsse nicht mehr zu sehen waren, wurde er schließlich entlassen. Monatelang kämpfte er mit dem Entzug, mit einem unerträglichen Gefühl der Stumpfheit. Und als er nicht mehr gezwungen wurde, die vom Arzt verschriebenen Medikamente einzunehmen, begannen die Kopfschmerzen – offenbar hatte er unter den Schlägen und Tritten der Polizisten eine Gehirnerschütterung erlitten.
    Langsam ließen die Entzugssymptome nach, er begann, sich nach Arbeit umzusehen. Immer wieder wurde er von Wutanfällen heimgesucht, er fiel in tiefe Depressionen. Seine Erlebnisse hatten ihn völlig verändert. Seine Lieblingsplatten konnte er nicht mehr hören. Er hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Jeglicher Lärm tat ihm in den Ohren weh. Die Müdigkeit überfiel ihn schlagartig, doch sein Schlaf war unruhig. Als einmal einige Jugendliche nachts rauchend und Bier trinkend unter seinem Fenster standen, stürzte er hinaus und forderte sie auf zu gehen. Es gab eine Rangelei. In dieser angespannten Situation spürte Otto etwas, das er nie zuvor erlebt hatte. Einen flüchtigen Augenblick lang – er hatte einen der Jungen am Kragen gepackt – schien er zu allem fähig. Er drückte dem Jungen die Luft ab, bis der blau anlief. Ein Nachbar ging dazwischen und rettete den Jungen aus Ottos Griff. Otto wandte sich um und ging.
    Bald war das letzte Geld aufgebraucht. Er wohnte nun, nachdem er von Pension zu Pension gezogen war und die Schlägereien der Säufer, die Bisse der Wanzen, den Gestank von Schimmel und Obdachlosen ertragen hatte, in einem Kellerzimmer, das er mit einer Alkoholikerin teilte, die Stütze bezog.
    Otto kam mit der Frau nicht zurecht. Das Einzige, was sie zustande brachte, war, ihn mit ihrem religiösen Quatsch zu beschimpfen. Später erzählte sie jedem, was für ein gottloser, bösartiger Einzelgänger er gewesen sei. Sie gingen sich so weit wie möglich aus dem Weg.
    Otto war mit seiner Erzählung am Ende, ich suchte in meiner Tasche und reichte ihm das Geld, das ich an diesem Tag verdient hatte, nur die Scheine, das Kleingeld ignorierte ich. Er zögerte, sah mir tief in die Augen und sagte: Fly, mein Bruder. Er

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