Spinnen füttern
Aisha und Otto, als wir später unsere Wohngemeinschaft auflösten, sie wohnten dort einige Jahre. Aisha liebte dieses Haus, sie mochte die Abgeschiedenheit. Um einkaufen zu gehen, mussten sie einen langen Fußmarsch zum nächsten Dorf machen, und dann trugen sie die Einkäufe auf ihren Rücken nach Hause. Im Sommer saßen sie unter einem großen Baum, der seinen Schatten auf das Haus warf, und genossen es, wenn eine kühle Brise aufkam. Aisha las meistens, Otto rauchte und ließ seinen Gedanken freien Lauf, gelegentlich fluchte er über die Fliegen. Im Winter heizten sie mit einem einzigen Ofen, der mitten im Wohnzimmer stand. Sie lebten sehr sparsam von der kleinen Hinterlassenschaft. Zum Haus gehörten eine Axt und eine Schaufel und alles, was zum Überleben im Winter nötig war.
Doch nach einiger Zeit wurde Otto unruhig. Manchmal sahen sie tagelang keinen Menschen, wochenlang kam niemand zu Besuch. Dieses asketische Leben war für Otto nur schwer zu ertragen. Er besorgte sich Arbeit in einem Steinbruch in der Nähe. Oft nahmen ihn die Lastwagen mit, die Stämme aus dem Forst abtransportierten, unter den wenigen Bewohnern der Gegend hatte sich längst herumgesprochen, dass in der Nähe ein schwarzes Pärchen wohnte. Aber als dann Aisha krank wurde, mussten sie wegen der aufwendigen Behandlung in die Stadt zurückkehren.
Nach Monaten der Krankheit, dann der Agonie flüsterte Aisha Otto zu: Es ist bald vorbei. Bring mich weg aus diesem Klinikelend, bring mich zum Haus zurück, und begrab mich unter dem großen Baum, weit weg von den Kreuzen und Krankenbetten.
Und das tat Otto. Als sie starb, legte er sie zwei Nächte auf ein provisorisches Lager, am dritten Tag nahm er die Schaufel, grub unter dem Baum ein Loch und legte sie hinein. Er wählte einen Stein, polierte ihn in sieben Tagen auf Hochglanz und stellte ihn an ihrem Grab auf. Er schrieb darauf: Hier ruht eine Leserin und Kämpferin. Bevor er sich abwandte und die Tür des Hauses verschloss, las er laut ihr Lieblingsgedicht vor. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg in die Stadt.
In seiner Zelle in der geschlossenen Abteilung versuchte er, sich an dieses Gedicht zu erinnern. Nur der ursprüngliche Name des Dichters, den er später abgelegt hatte, fiel ihm ein: Everett LeRoi Jones. Everett LeRoi Jones, wiederholte er einige Male, aber wie hieß der Dichter später? Es war ein afrikanischer Name, ja … Vielleicht hätte auch ich meinen Namen ändern sollen, dachte Otto. Ich habe es ja versucht, aber diese Tiere haben mir nicht geglaubt. Stattdessen haben sie mich hier reingesteckt. Und das Gedicht, dachte er, wie ging dieses Gedicht, das sie so geliebt hat:
Augen, stumpfe, ungeputzte Fenster
und emsige Fabriken …
Und weiter? Otto überlegte. Wie geht es weiter …? Er starrte auf sein Stahlbett. Sag es mir, mein Liebling, sag es noch einmal auf … Er merkte, dass er laut vor sich hingesprochen hatte, und versuchte, sich zusammenzureißen. Was kommt dann, meine Liebe? Sag es mir noch einmal, flüsterte er mit dem Rücken zur Tür. Kann mir jemand das Gedicht vorlesen? Wieder hörte er seine eigene Stimme, wieder riss er sich zusammen, um seine eigenen Worte zu übertönen, rückte er den Metallstuhl hin und her.
Mehrere Stunden wartete er in der Zelle, nur in dem Krankenhauskittel, der seinen Rücken nicht bedeckte. Er fror. Die Krankenschwester hatte seine Kleidung mitgenommen. Kurz erwog er, das Laken vom Bett zu ziehen, um es sich über die Schultern zu legen, doch dann hätte er wie ein zahnloser Penner ausgesehen, der zitternd an einer brennenden Tonne steht.
Endlich, nachdem er Stunden zitternd in seiner Zelle verbracht und in der Einsamkeit laut vor sich hingesprochen hatte, ging die Tür auf, die Krankenschwester forderte ihn auf zu folgen. Das Zimmer, in das er nun gebracht wurde, war noch beengter, immerhin befand sich ein Holzstuhl darin, die Sitzfläche war etwas wärmer. Der Physikunterricht in seiner Schule fiel ihm ein: Metall leitet Wärme, Holz nimmt sie auf. Der Gedanke kam ihm, dass er sich nun in seine dramatische Rolle finden sollte: als Wahnsinniger. Er könnte auf den Tisch steigen und ein Orchester dirigieren. Er könnte singen: Metall leitet Wärme, Holz nimmt sie auf, Metall leitet Wärme …
Er blieb sitzen und streckte die Beine aus. Zigaretten, murmelte er. Sein Geist suchte den Weg ab, den seine Habseligkeiten zurückgelegt hatten. Wo ist wohl das Plastikfeuerzeug, wo sind meine Zigaretten? Waren seine Sachen von
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