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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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es ist ein Unterschied, ob man bluthustend und wimmernd eine Wand herunterrutscht und hart auf den Fußboden klatscht oder ob man von zärtlichen Händen liebevoll zu Boden gesetzt wird. Es ist ein bedeutender Unterschied.
    Der größte.
     
    Später an diesem Abend liege ich neben Chase auf dem weichen Bett, und mein Kopf ruht sacht auf seinem Oberkörper, ich kralle mir einen Zipfel von der Bettdecke, um mich festzuhalten, und lausche dann aufmerksam Chase’ Herzschlag. Er klingt vollkommen anders als meiner. Denn Regelmäßigkeit ist für mein Herz längst ein Fremdwort geworden.
    Ein fremdes Wort.
    In einer befremdlichen Zeit.
    In diesen fremdbelegten Räumen.
    Chase liest noch in einem seiner vielen Bücher, das macht er meistens, bevor er schlafen geht. Ein Buch in den Händen zu halten ist das Beruhigendste, was ein Mann, der neben mir liegt, für mich tun kann. Ich würde niemals mit jemandem ausgehen, der nicht weiß, wozu man ein Buch aufschlägt.
    Das leise Rascheln vom Umblättern der Seiten mischt sich mit Chase’ Herzschlag und lullt mich ein. Ich schließe die Augen, irgendetwas in mir fängt an zu zittern. Ana, denke ich, oder Mia. Aber die beiden sind schon längst eingeschlafen, ich sehe ihre dunklen Gestalten gemeinsam auf einer graubezogenen Matratze in einem unmöblierten und kahlen Zimmer liegen.
    Also bin ich es, die zittert. Oder ist es das kleine Mädchen? Ich stehe auf. Meinen Körper lasse ich liegen, er kommt mir zu schwer vor. Mit leisen Schritten gehe ich weg von dem Bett, auf dem Chase und meine Hülle liegen. Im Türrahmen verharre ich, drehe mich um und betrachte den Körper, der zu mir gehört, und Chase, der gerade eine weitere Seite von seinem Buch umschlägt. Und dann, wie selbstverständlich, zieht Chase die Decke ein wenig höher über meine Schultern und streicht sanft über mein Haar.
    Ich will weitergehen.
    Schnell weg von so viel Geborgenheit.
    Bevor ich mich darin verliere.
    Aber auf einmal bewegt sich mein Körper, ganz sacht, und da kann ich nicht einfach verschwinden, weil ich spüre, wie er an mir festhält und mir von Dingen erzählen will, die ich nicht verstehen kann, weil ich mich nie darum bemüht habe, sie in meine Sprache zu übersetzen.
    Also bleibe ich regungslos stehen, fühle den kühlen Parkettboden unter meinen nackten Füßen; liege gleichzeitig, mit angehaltenem Atem, in dem großen vertrauten Bett und verliebe mich in Chase.

[home]
    Endspiel
    1
    I ch stehe nackt vor meinem Spiegel und kann nicht glauben, was ich mir antue. Wie ich mich verkaufe, um mich loszuwerden. Wie ich mich an ein rotes Ana-Armband fessele, um meinen Schmerz auszudrücken.
    Ich starre mich an und versuche zu verstehen. Ich will zwischen meinen Worten lesen. Aber ich bin kein Satzgefüge.
    Ich bin eher ein Wortfall.
    Abgrundtief. Im überschatteten Fehler.
     
    Ein Flüstern nur, ein Rauschen – und ich wispere weiße Lügen meiner Verfassung zu, um den Schaden an mir zu begrenzen. Aber dann. Sehe ich mich doch.
    Also ziehe ich mich an und gehe Chase besuchen. Es ist mitten in der Nacht, die warme Sommerluft spielt mit meinen Haaren, und wenig später öffnet Chase überrascht seine Tür.
    »Kann ich bei dir schlafen?«, murmele ich leise.
    »Was?«, fragt Chase und reibt sich über die Augen.
    »Kann ich bei dir schlafen?«, wiederhole ich etwas lauter.
    »Natürlich, Lilly«, sagt Chase, »das weißt du doch.«
    Dann zieht er mich in seine Wohnung.
    Und küsst mich.
    Er hebt mich hoch und trägt mich auf sein großes Bett. Seine Hände berühren meinen vergewaltigten Körper. Unsere Lippen berühren sich. Ich schmecke die bittersüße Enthaltsamkeit meiner verlorenen Gefühle. Mein Kleid fällt zu Boden. Ich höre das Rascheln des unbeschwerten Stoffes. Ich drifte davon. Mein stolperndes Herz setzt aus, und dann fängt es an, mich zu erschlagen. Chase liegt auf mir, sein Körper ist schwer; schwer zu ertragen. Ich möchte verschwinden, ich will, dass dieses dröhnende Schweigen in meinem Kopf etwas leiser wird.
    Das erste Mal.
    Seit einer Ewigkeit.
    Privater Sex. Mit einem Mann, der mir etwas bedeutet.
    Die aufkommende Stille beschreibt meine Schande, der Klang der Lautlosigkeit zerrt an meiner unverstandenen Sprache.
    Und alles. Alles, was ich habe. Bin ich selbst.
    Und Sex. Sex ist nichts. Was ich begreife.
    Ich fange an zu weinen. Die salzigen Tränen brennen auf meinem Gesicht und tropfen hinab auf das himmelblaue Laken. Chase sagt etwas. Die Buchstaben verlaufen

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