Splitterfasernackt
du vor Panik wahrscheinlich zu Boden gegangen, und ich hätte ein schlechtes Gewissen haben müssen. Oder auch nicht. Du kippst ja sowieso ständig um.«
Ich ignoriere sie.
Das ist ziemlich kompliziert, denn Lady wedelt mit ihrer einen Hand vor meinem Gesicht herum und leuchtet mir schließlich mit irgendetwas in die Augen.
»Wow, du kannst schon wieder nicht mehr fokussieren!«, stellt sie trocken fest.
Es klingt so, als würde sie sagen: »Wow, sogar zum Gucken bist du zu blöd.«
Dann schiebt sie mir ein belegtes Schinkenbrötchen hin.
»Ich glaube, dein Körper baut zuallererst immer deine Gehirnzellen ab, bevor er sich an die nicht vorhandenen Fettzellen wagt«, meint sie nachdenklich.
»Danke«, sage ich, »jetzt fühle ich mich wie ein neuer Mensch.«
»Schätzchen«, erwidert Lady daraufhin und schiebt das Schinkenbrötchen noch näher an mich heran, »du bist immer mehr wert als der Preis, den du bereit bist zu zahlen, um jemand anders zu sein.«
14
D er Sommer bricht noch schneller herein als der Frühling. Ich fliege ein letztes Mal in die Schweiz, um Abschied zu nehmen. Denn genau wie die Tage im Passion müssen auch meine Tage in der Schweiz gezählt sein. Wo komme ich sonst am Ende hin, wenn Männer kommen, wegen mir, während ich nie irgendwo ankomme?
Die Tage in Mellingen sind in glühende Sonnenstrahlen getaucht, und ich verbringe die meiste Zeit an der Reuss oder im Garten von Patrick. Meine Stammgäste kommen alle noch einmal vorbei, um mir Lebewohl zu sagen, denn ich werde nie wieder zurückkommen. Nicht als Felia.
Und während Patrick mich schließlich zwei Wochen später zum Flughafen fährt und von einem Urlaub erzählt, den er gerne gemeinsam mit mir verbringen möchte, blicke ich aus dem Fenster auf die blühenden Bäume und weiten Felder und weiß genau, dass ich auch Patrick nicht wiedersehen werde. Dass ich es beenden muss, weil er mich nie nur als gute Freundin sehen wird.
Ich umarme ihn ganz fest zum Abschied.
Er weint und sagt: »Du wirst mir so fehlen, ich rufe dich ganz oft an, okay? Und dann komme ich dich besuchen! Sooft du willst.«
»Ja«, sage ich. Und dann sage ich: »Nein.«
»Was?«, fragt Patrick verwirrt.
Das Leben ist manchmal so unfair.
»Patrick«, sage ich. Und meine Stimme ist zuckersüß und bitter zugleich: »Ich habe dich wirklich sehr lieb. Du bist ein toller Mensch. Aber du hoffst immer noch, dass ich deine Freundin sein kann, dass ich mich plötzlich auch in dich verliebe – wenn du dich nur genug bemühst. Aber das musst du nicht. Du musst dich nicht mehr bemühen. Ich mag dich so, wie du bist, aber ich kann trotzdem nicht deine Freundin werden. Und du wirst eine andere Frau finden, ganz bestimmt. Hör auf zu glauben, dass ich dein Mittelpunkt bin, denn das bin ich nicht, und wenn du erst einmal wieder den richtigen Abstand bekommen hast, dann wirst du es auch verstehen. Ruf mich nicht mehr an. Deine Hoffnungen werde ich immer enttäuschen, und ich werde nie ein Teil von deinem Leben sein oder zu dir gehören.«
Patrick sieht mich an.
Das Leben ist wirklich unfair.
Dann streicht er mir sanft über mein Gesicht und nickt.
»Danke«, sagt er schließlich leise, »dass du es endlich gesagt hast. Ich werde schon halb verrückt, so sehr versuche ich, alles richtig zu machen. Und jetzt weiß ich, dass es okay ist, wie es ist. Nicht wahr?«
»Ja«, sage ich. »Das ist es – das muss es wohl sein. Aber ich werde dich nicht vergessen.«
Patrick schlingt noch einmal seine Arme um mich. Und für diesen Augenblick ist es schön, seinen Körper an mich gepresst zu fühlen, denn ich weiß: Wir sehen uns nie wieder. Es ist vorbei.
»In meinem Herzen ist immer ein Platz nur für dich, Lilly. Du bist die Einzige, die mich je so berührt hat, die Einzige … und ich wünsche mir, dass du das verstehst«, sagt Patrick und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.
Dann küsst er mich zum Abschied und geht.
Und ich bin endlich frei.
Ich schaffe das, ich kann alles.
Sage ich leise zu mir.
Weil mir bewusst wird, wie viel Kraft ich gerade brauche, um aufrecht zu stehen und nicht einfach umzufallen. Aber ich bin Ana. Und Ana gibt niemals auf.
Wozu haben wir Gesichtszüge?
Mimik. Gestik. Ausdruck.
Wenn nicht, um alle um uns herum zu täuschen.
Und ein grandioses Schauspiel abzuliefern.
Also schnappe ich mir meinen Koffer, werfe einen letzten Blick auf Patrick, der zaghaft die Hand zum Gruß hebt, und lächele ihm noch einmal zu, bevor ich durch
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