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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Blackburn hatte mich mit seinem Höllenpferd aus dem Gewitter gefischt. Und im Gegensatz zu mir hatte er mich mit Si­cherheit sofort erkannt. Ich verbarg ja auch nicht mein Gesicht wie er. Es hatte wenig Sinn, sich zu verstecken. Ich schaltete das Licht wieder an, stellte mich neben die Tür und wartete.
    Ich nahm mir vor, die Arme zu verschränken und ein möglichst gelassenes, unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen, sobald ich seine Schritte hörte. Bis dahin jagte mein fliegender Puls einen Schauer nach dem anderen über meinen Rücken. Meine Füße und Hände waren eiskalt; meine Wangen aber brannten, als hätte ich Fieber. Nervös spielten meine Finger mit meinem Haustürschlüssel, bis ein anderes Schlüsselklappern sie übertönte.
    Wortlos stieß er die Tür auf, damit ich nach draußen gehen konn­te. Ich schaute nicht auf. Als ich unter seinem gestreckten Arm hin­durchschlüpfte, wurden die Schauer auf meinem Nacken so mäch­tig, dass ich in die Knie sackte. Für einen winzigen Moment berührte meine Wange den Stoff seines Hemdes. Unwillkürlich at­mete ich tief ein. Dann gab ich mir einen Ruck und torkelte die Stufen hinunter.
    Die Straße war menschenleer. Eine Telefonzelle sah ich nicht und ich wollte nicht noch mehr Zeit damit verschwenden, danach zu su­chen. Die beste und sicherste Lösung war, nach Hause zu laufen. Ich wollte hier keine Minute länger bleiben. Den Weg kannte ich nun ja und irgendwann würde ich ankommen. Man würde mir danach die Zehen amputieren müssen, aber es war besser, als zu trampen oder im Turnhalleneingang zu übernachten. Missmutig stiefelte ich Rich­tung Landstraße.
    Nur selten rauschte ein Auto an mir vorüber, bis ich schließlich das einzige wache Wesen in dieser stillen, einsamen Welt zu sein schien. Meine Fersen taten scheußlich weh in den engen Stöckel­stiefeln und die Kälte wanderte hoch zu meinem Bauch und legte sich klamm auf meinen Rücken. Ich blieb stehen und hob den rech­ten Fuß an, um ihn zu entlasten. An dem überquellenden Bach ne­ben der Straße quakten die Frösche und im Dickicht raschelte es leise. Hin Reh vielleicht? Oder etwa doch ein blutrünstiger Ver­gewaltiger?
    »Steig ein, ich nehm dich mit.« Viel zu schnell drehte ich mich um und verlor beinahe das Gleichgewicht, weil ich meinen rechten Fuß immer noch wie ein Storch über dem Boden balancierte. Wie konn­te es sein, dass ich ihn nicht gehört hatte? Plötzlich erschien mir al­les so unwirklich. Doch ich wusste sofort, dass der Mann in dem Auto Colin war. Seine Stimme hatte sich wie ein akustisches Tattoo in mein Gedächtnis gebrannt.
    War ihm denn auch klar, dass ich das war, die er da mitnehmen wollte? Ich, die respektlose Großstadtpflanze aus Köln, die sich nicht mit Unwettervorboten auskannte und schon gar nicht mit den internen Dojo-Gesetzen? (Gesetz Nummer 1: Colin trainiert im Dunkeln. Stören und Fluchen verboten. Danke.)
    »Worauf wartest du, Ellie?« Schön. Er wusste also auch schon, wie ich hieß. Ob er mit Benni befreundet war? Oder sprach sich so et­was auf dem Land automatisch herum? Ach, egal. Ich hatte an jedem zweiten Zeh eine Blase und mein Hunger brachte mich fast um. Mit einem resignierenden Seufzer stieg ich ein und schloss den Gurt.
    Colin griff nach hinten und legte mir kommentarlos mein Handy auf den Schoß. »Besten Dank«, sagte ich frostig. Ich versuchte, es anzuschalten, doch bevor ich meine PIN eingeben konnte, erlosch das Display mit einem kränklichen Flimmern. Mühsam schluckte ich einen neuerlichen Fluch hinunter - und die Frage, warum er mir mein Handy nicht schon in der Turnhalle gegeben hatte. Woher wusste er überhaupt, dass es mir gehörte? Und wo hatte er es gefun­den?
    »Es lag im Mülleimer«, beantwortete Colin mir mit seiner ruhi­gen, angenehm tiefen Stimme meine Gedanken. Wieder war der Akzent so fein, dass ich mich anstrengen musste, um ihn wahr­zunehmen. Hatte ich mir das Lächeln in seinen Worten eingebildet oder war es tatsächlich da gewesen? Doch ich war zu scheu, um ihn zu mustern, obwohl ich es gerne getan hätte. Und irgendwie war ich wütend, weil er sicherlich gewusst hatte, dass die Tür verschlossen sein würde, und dennoch in aller Seelenruhe weitertrainiert hatte, damit ich mich derweil schön lange fürchten konnte. Nun, dafür fuhr er mich jetzt wenigstens nach Hause und hatte mich vor dem Tod im Wald bewahrt. Ich sollte ihm wohl dankbar sein.
    Mir war immer noch kalt. Alle Wagenfenster standen weit offen und meine

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