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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Weich­bodenmatte rutschte, die hinter mir an der Sprossenwand lehnte. Kalt berührte der Kunststoff meine nackten Schultern. Die Matte geriet ins Wanken. Hastig zog ich das Hemdchen über meinen ent­blößten Bauch und schob die Matte zurück an die Wand, bevor sie mich unter sich begraben konnte.
    Wer, bitte, lauerte hier im Halbdunkel? Der Stimme nach zu ur­teilen - eine überhebliche, arrogante Stimme, die mir vage bekannt vorkam - war es ein Mann. Ein junger Mann. Ein paar Sekunden lang verharrte ich erstarrt und wagte nicht, mich umzusehen. Da war kein Geräusch, kein Atmen. Gar nichts. Aber es musste jemand hier sein. Ich spürte seine Gegenwart auf jedem Millimeter meiner Haut.
    »Und was tut man so in einem Dojo?«, fragte ich. »Andere Men­schen erschrecken?« Ich klang ängstlich und aufsässig zugleich.
    Die Stimme antwortete nicht. Ich vergewisserte mich, dass die
    Matte hielt, und drehte mich langsam um. Unter der Fenstergalerie saß ein junger Mann mit dem Rücken zu mir auf dem Boden. Seine Hände ruhten auf seinen Knien. Die Handflächen zeigten weiß nach oben.
    Er trug einen schwarzen, verwaschenen Kampfanzug, auf dessen Schulterpartie ein roter Drache prangte. Der seidige Stoff war so zerschlissen und dünn, als würde er die meiste Zeit im Schleuder­gang der Waschmaschine verbringen, doch er saß perfekt. Um die Hüfte schlang sich ein schwarzer Gürtel. Ein Schwarzgurt. Das wa­ren die gefährlichsten - so viel zumindest wusste ich von Karate.
    »Ich habe gefragt: Was tut man in diesem verf-«
    »Meditieren zum Beispiel. Allein sein. Trainieren. Respekt zeigen«, unterbrach er mich scharf, aber unverkennbar gelangweilt. Seine Stimme erfüllte den gesamten Raum, obwohl er leise sprach. In meinen Ohren klirrte es zart. Mit einer einzigen geschmeidigen Be­wegung erhob er sich.
    »Respekt bedeutet: verbeugen vor dem Eintreten. Leise sein. Bar­fuß gehen. Nicht herumfluchen. Verstanden? Und jetzt verschwin­de.«
    Woher kam mir seine Stimme nur so bekannt vor? Das mit dem Respekt hätte er nicht extra erwähnen müssen - ich war starr vor Respekt. Aber auch reichlich wütend auf diesen Gernegroß.
    Noch immer stand er mit dem Rücken zu mir. Sieh mich an!, schrie ich in Gedanken zornig. Sieh mich endlich an! Doch ich brachte keinen Ton heraus. Was war das für ein Kerl? Und was bil­dete der sich überhaupt ein? Gehörte dieser ach so heilige Dojo ihm persönlich, oder was? Regungslos stand er da und wartete. Ich band mir die Bluse um die Hüften und verkniff mir die Frage, ob man sich denn auch verbeugen müsse, wenn man den Dojo verlasse. Mein Handy war jedenfalls nicht hier, das sah ich mit einem Blick. Hier war nichts außer dem Mann und seiner lähmenden, frostigen
    Aura. Ich wagte es nicht, an ihm vorbei und hinüber zum Notaus­gang zu gehen, zumal dort möglicherweise weitere Spinnen lauer­ten.
    Wie in Trance schritt ich aus der Halle und nahm die Treppe nach oben. Völlig außer Atem ließ ich mich auf den Boden sinken. Es herrschte absolute Stille. Lola und die andere Frau waren nicht mehr da. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Wenn ich den letzten Bus nach Kaulenfeld kriegen wollte, blieb mir keine Zeit zum Aus­ruhen. Dafür hatte ich viel zu lange geschlafen. Ich atmete tief durch, rappelte mich auf und wollte die Tür öffnen. Sie bewegte sich keinen Millimeter.
    »Oh nein«, wimmerte ich. »Nein ...«
    Draußen war es inzwischen fast dunkel. Ich sah die Scheinwerfer des Busses herankommen - und beobachtete hilflos, wie er kurz hielt und dann blinkend abbog. Ich war immer noch eingesperrt. Es nahm einfach kein Ende. Eingesperrt mit einem Schwarzgurt in ei­ner kalten, schäbigen Dorfturnhalle. Und ich war selbst schuld, weil ich lieber geflohen war, als mich einer vermutlich harmlosen Frau zu stellen, die allabendlich die Halle abschloss und sicherheitshalber schaute, ob noch jemand hier war. Vielleicht wäre Lola ja gar nicht mit runtergekommen und hätte nie erfahren, dass ich in der Herrenumkleide saß und mich an ein fremdes Hemd schmiegte. Aber selbst wenn sie es erfahren hätte - vermutlich wäre sie immer noch netter zu mir gewesen als dieses arrogante Scheusal da unten. War es am Ende sein Hemd gewesen, an das ich mich vorhin gelehnt hatte? Falls ja - dann wusste er jetzt, dass ich mich in seiner Um­kleidekabine herumgetrieben hatte. Ich wartete einen Moment lang ab, ob ich vielleicht nur träumte und gleich aufwachen würde, aber ich tat es nicht. Das war echt. Und es

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