Splitterherz
mir gleichgültig. Ich konnte nachher noch danach suchen. Morgen. Irgendwann ...
»Ist da unten noch jemand?«
»Weiß nicht, schau halt mal nach.«
Die Stimmen kamen von oben und sie hörten sich freundlich und locker an, doch in meinen Ohren klangen sie wie Feindesgebrüll. Denn die zweite gehörte zweifelsfrei der schwarzen Lola. Was zum Henker machte die denn hier? Schlagartig war ich wieder wach und mein Magen schien sich einmal um sich selbst zu drehen. Ich knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand, als ich merkte, dass ich mein Gesicht in ein weißes Männerhemd presste. Widerwillig riss ich mich von ihm los. Es roch doch so gut.
Hatte ich schon wieder geschlafen? Es konnte sich nicht nur um ein paar Minuten gehandelt haben, denn mein linker Arm war taub und mein Mund trocken. Schon hörte ich das vertraute Quietschen von Sportschuhsohlen auf Linoleum. Es kam näher und näher, direkt auf mich zu. Ein Schlüsselbund rasselte. Und ich saß völlig verschlafen in der Herrenumkleide und schmuste mit einem fremden Hemd. Zum Nachdenken hatte ich keine Zeit. Mit einem Satz war ich am Notausgang neben den Duschen und lehnte mich auf die Klinke. In letzter Sekunde gab die armdicke Tür nach und entließ mich in einen dunklen, engen Betonkorridor. Blitzschnell, aber leise zog ich sie hinter mir zu. Um mich herum wurde es stockfinster. Ein eisiger Luftzug kroch an meinen Waden hoch. Mit einem ungesunden Stolpern meines Herzens wurde mir bewusst, dass ich mich mehrere Meter unter der Erde befand, ohne Fenster, ohne Tageslicht. Doch Notausgänge führten gewöhnlich nach draußen und wahrscheinlich waren es nur wenige Schritte bis dahin. Ich streckte meine Hände tastend aus. Sie griffen ins Leere. Gab es hier denn keinen Lichtschalter? Noch immer konnte ich nichts sehen.
»Mach schon, Elisabeth«, flüsterte ich. »Lauf.« Meine Stimme hallte in einem gespenstischen, ersterbenden Echo nach. Über mir raschelte es - ein getriebenes, organisches Scharren. Mäuse? Oder gar Ratten? Als hätte mir jemand eine Peitsche über den Rücken gezogen, schoss ich zuckend nach vorne. Klebrige Fäden legten sich hundertfach auf mein Gesicht und dehnten sich mit einem aggressiven Surren. Hysterisch schlug ich um mich. Irgendetwas krabbelte über meinen Nacken, mit langen, tastenden Beinen. Spinnen. Hier war alles voller Spinnen. Ich war eingeschlossen in einem finsteren Verlies voller Spinnen. Wenn ich jetzt ohnmächtig werden würde vor lauter Ekel und Angst, würde mich niemand finden, und sie würden immer und immer wieder über mich hinwegkrabbeln, während ich langsam verdurstete und verhungerte. Sie würden sich in meine Haare einweben, in meinen Mund und meine Nasenhöhlen kriechen und gelb schillernde Kokons auf meinen Schleimhäuten absetzen, in denen Abertausend winzige Beinchen neuer Spinnen zu wimmeln begannen.
Ich stürzte lautlos schreiend weiter, bis meine Fingernägel endlich über kaltes Metall schrammten. Mit letzter Kraft warf ich mich dagegen. Die Tür schwang quietschend auf. Wimmernd torkelte ich in die leere, dämmrige Turnhalle. Ich war noch immer nicht an der Irischen Luft, immer noch nicht frei. Aber wenigstens hatte ich Platz zum Atmen. Und die nächste Tür nach draußen befand sich direkt gegenüber. Doch nun krabbelte es nicht nur in meinem Nacken, sondern überall auf meinem Körper. Am Bauch. An den Oberschenkeln. An meiner Brust. Da half nur eines - ausziehen. Alles ausziehen. Und am besten anschließend eine Glatze rasieren.
»Scheiße!«, fluchte ich und zerrte mir meine dünne Bluse über den Kopf. Mit den flachen Händen griff ich unter mein Trägerhemdchen, schob es hoch und tastete fahrig meine Haut ab, erst den Bauch, dann den oberen Rücken. Da, unter meiner Achsel - dünne, zittrige Beinchen. Ich klaubte sic schreiend aus ihrem warmen Nest und schnippte sie fort, bevor ich sie - obwohl sie »nur« einem verwirrten Weberknecht gehörten - mit dem Absatz meiner Stiefeletten schnaubend zu grauem Matsch zermalmte.
»Verdammte, blöde Landeierscheiße! Ich will wieder nach Hause!« Zornig stampfte ich mit dem Fuß auf. Ein weiterer Weberknecht suchte mit staksigen Beinen das Weite. Ich hatte große Lust, etwas zu zertrümmern. Ich hob meine Faust und ließ sie gegen die schwere Tür krachen. »Autsch! Kacke!«
»Das ist ein Dojo. Kein Affenzirkus. Und in einem Dojo gibt es gewisse Regeln. Raus hier.«
Ich fuhr so heftig zusammen, dass ich rücklings gegen die
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