Splitterndes Glas - Kriminalroman
rief ihren Mann, und dieser stellte einen Fuß auf den Spaten und drehte sich um. »Oh, Ted …«
»Vielleicht sollten wir ins Haus gehen?«, schlug der Sergeant so behutsam wie möglich vor.
Grace Bryan streckte die Hand aus und ergriff den Ärmel seiner Uniform direkt über dem Handgelenk. »Es ist Lesley, habe ich recht? Ihr ist etwas passiert. Oder ist es Stephen? Nein, es ist Stephen. Unser Stephen. Er hat einen Unfall gehabt. Ted, ein Unfall!«
»Mrs Bryan«, sagte die Polizistin und machte einen Schritt nach vorn, »gehen wir doch ins Haus.«
»Sagen Sie mir nur, dass er lebt! Er lebt doch?«
Als sie die Antwort in den Augen der jungen Polizistin las, fiel das Gesicht der älteren Frau in sich zusammen wie |22| ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. Ted Bryan sah dem Sergeant ins Gesicht, dann wandte er sich ab.
»Dreckskerl!«, sagte er. »Dreckskerl! Dreckskerl!« Er stieß den Spaten heftig in den Boden.
Helen Walker hatte am Abend zuvor damit begonnen, Stephen Bryans Notizbücher zu lesen, während sie ihr Abendessen verspeiste – eine Pizza mit Käse und Tomaten, die sie mit einem kräftigen Ruck aus dem Gefrierfach befreit und dann in die Mikrowelle gestellt hatte. In überschaubare Stücke geschnitten, spülte sie sie mit einem Glas Allerwelts-Chardonnay hinunter. Nachdem sie weder etwas Anzügliches noch etwas besonders Aufschlussreiches gefunden hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit einem Stapel von etwa dreißig Briefen zu, die mehrere Jahre zurückgingen und vom rein Praktischen – ein Eingeständnis der Gasgesellschaft, dass ihm für das erste Quartal in seinem neuen Haus zu viel berechnet worden war – über das Akademische zum Privaten und Persönlichen reichten – Familie, Liebhaber, Freunde. Helen hatte diese bis zuletzt aufgespart; sie goss sich ein zweites Glas Wein ein.
Es gab lange unterhaltsame und redselige Briefe von einer Frau aus Neuseeland, die Helen zuerst für eine frühere Freundin hielt, aber dann als Stephens Schwester Lesley identifizierte; ein Brief seiner Mutter, in dem sie ihm zu seiner Berufung an die Universität gratulierte, wobei ihre Freude von Sorge überlagert war, die jedoch nicht deutlich ausgesprochen wurde; und schließlich ein halbes Dutzend Liebesbriefe, deren erotischer Inhalt an manchen Stellen so genau zur Sache kam, dass Helen das Gefühl hatte, mehr Einzelheiten über das Liebesspiel von Mann zu Mann zu erfahren, als sie je hatte wissen wollen.
Helen rauchte die letzte Zigarette des Abends, trank |23| Instantkaffee und ging noch einmal durch, was sie gelesen hatte. Sie notierte die Namen und Daten, die zu diesem frühen Zeitpunkt der Ermittlung wichtig zu sein schienen. Zwischen Mitternacht und Viertel nach zwölf merkte sie, dass ihr die Augen zufielen. Sie schob ihr Notizbuch beiseite, drehte den Schlüssel in der Haustür um, machte das Licht aus und ging zu Bett.
Am Morgen war Will laufen gegangen, nachdem er sich ein altes Simple-Minds- T-Shirt und ein Paar Shorts übergezogen und dann seine Laufschuhe unten in der dunklen Diele zugeschnürt hatte; als er durch die Haustür trat, schlüpfte er in eine reflektierende Weste mit Neonstreifen an der Schulter: Er hatte keine Lust, von einem noch halb schlafenden Autofahrer angefahren zu werden, der ihn im schwachen Licht des frühen Morgens nicht sah.
Die Luft war noch knackig kalt. Über dem schwärzlichen Wasser des Fenn hing Nebel und trieb gespenstisch über die durchfurchten Felder. Es würde noch etwa eine Viertelmeile dauern, bis die Knoten aus seinen Beinen verschwanden und er sich dem Rhythmus übergeben konnte, bis er nicht mehr daran denken würde, was er tat – die Notwendigkeit, einen Fuß nach dem anderen auf den Boden zu setzen –, bis er den leichten Schmerz in seiner Seite vergessen und seinen Gedanken erlauben würde, Purzelbäume zu schlagen. Die ersten Schläge, waren sie in der Dusche erteilt worden oder früher? Will sah einen Mann vor sich, der sich unter dem vollen Strahl des Wassers umdrehte, die Augen zusammengepresst, das Haar an den Kopf geklatscht. Er musste die Wucht des ersten Schlags gespürt haben, bevor er überhaupt verstand, was da passierte. Und dann noch einer, noch einer. Mehr als eine Faust. Etwas Hartes, aus Metall möglicherweise. Ein Hammer?
|24| Wie ein Leviathan erhob sich die Kathedrale von Ely aus dem Nebel.
Mark McKusick war guter Laune. An diesem Morgen war die Bestellung eines amerikanischen Ehepaares eingegangen, das
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