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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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bereitwillig tat, auch wenn es überhaupt nichts nutzte. Er sah mein Problem darin, daß ich nicht in der Lage sei, mich »auszuliefern«, und ich wußte genau, was er meinte. (Heute staune ich, wenn ich auf Sportler treffe, die vollwertige Menschen sein und sich gleichzeitig ihrem Sport »ausliefern« können. Das kommt nicht oft vor, und es ist die kostbare Gabe eines komplexen Gottes.)
    Ich habe in diesen Jahren nicht viel von meiner Mutter gesehen. Und ich scheine da auch keine Ausnahme zu sein. Es muß Tausenden von uns 1945ern so gegangen sein, wie auch Kindern in früheren Jahrhunderten. Merkwürdig ist es doch wohl, daß Kinder heutzutage so viel mit ihren Eltern zusammen sind und sie besser kennenlernen, als wahrscheinlich je nötig ist. Ich war bei meiner Mutter, wenn sie Zeit für mich hatte. In der schulfreien Zeit wohnte ich bei ihr im Haus, und wir gingen miteinander um wie gute Freunde. Sie liebte mich so sehr, wie sie es in ihrer veränderten Situation konnte. Es hätte ihr vielleicht gefallen, enger mit mir zusammenzuleben. Ich weiß, mir hätte es gefallen. Aber es ist möglich, daß sie selber Träumen nachhing und nicht in der richtigen Verfassung war, genau zu wissen, was sie tun sollte. Sie dachte mit Sicherheit nie, daß mein Vater sterben würde, so wie ich nie dachte, daß Ralph sterben würde, und doch tat er es. Sie war erst vierunddreißig, eine kleine Frau mit dunklen Augen und einer Haut, die dunkler war als meine; ich habe das Gefühl, daß es sie bestürzte, so weit von ihrem Geburtsort entfernt zu sein, und daß sie das mehr beschäftigte als irgend etwas anderes. Ihr Leben lenkte sie einfach in der Weise ab, in der ein anderer Mensch das tun würde, nicht auf eine abscheuliche oder eigennützige Art, möglicherweise sogar in der Art, in der mein Vater sie abgelenkt hatte, doch davon wußte ich nichts. Ich glaube, der Gedanke, nach Iowa zurückzukehren, muß sie beunruhigt haben, und sie wollte nicht zurück.
    Schließlich fand sie Arbeit in einem großen Hotel in Mississippi City, dem Buena Vista , wo sie nachts an der Kasse saß, und dort lernte sie einen Mann namens Jake Ornstein kennen, einen Juwelier aus Chicago, und nach einigen Monaten, in denen er mehrmals in den Süden gereist war, heiratete sie ihn und zog nach Skokie in Illinois, und dort lebte sie dann, bis sie Krebs bekam und starb.
    Ziemlich genau zu der Zeit bekam ich über Lonesome Pines ein NROTC-Stipendium und schrieb mich ganz zufällig an der Universität von Michigan ein. Die Navy wollte ihre Stipendiaten mischen, und niemand kam an den Ort, den er sich gewünscht hatte; ich kann mich allerdings nicht einmal erinnern, wohin ich wollte, nur daß es nicht Michigan war.
    Ich erinnere mich aber sehr wohl, daß ich hin und wieder meine Mutter in Skokie besuchte; ich stieg dann in Ann Arbor in den wohlriechenden alten New York Central und verbrachte das Wochenende damit, in dem seltsam spießigen, einem Landhaus nachempfundenen Bungalow herumzulümmeln, bemüht, mich wohl zu fühlen und Konversation zu machen, umgeben von Möbeln, die in Schonbezügen aus Plastik steckten, und fünfundzwanzig Uhren an den Wänden, in einer jüdischen Wohngegend und in einem Ort, mit dem mich nichts verband. Jake Ornstein war fünfzehn Jahre älter als meine Mutter und im Grunde ganz nett, und ich kam mit ihm und seinem Sohn Irv gut aus – letztlich sogar besser als mit meiner Mutter. Sie erwähnte zwar, daß mein College ihrer Meinung nach »eine der guten Schulen« sei, behandelte mich aber wie einen Neffen, den sie nicht sehr gut kannte und der ihr Sorgen machte, obwohl sie mich mochte. (Sie gab mir eine Hausjacke und eine Pfeife, als ich mit der Universität anfing – zu der Zeit war sie schon in Skokie, so daß ich von dort aufbrach.) Ich für meinen Teil bin sicher, daß ich große Augen machte und auf Distanz blieb. Ich bin auch überzeugt, daß wir, als wir sahen, wie wir uns angepaßt hatten, beide versuchten, uns auf irgendeiner neuen Ebene näherzukommen, die uns beiden geschmeichelt hätte. Aber ihr war das Leben irgendwie davongelaufen, und ich wurde zu jemandem aus einer anderen Zeit, eine Tatsache, die ich meiner Mutter nicht vorhalte und deretwegen ich mir nicht verlassen oder verstoßen vorgekommen bin.
    Wie mochte, nach alldem, ihr Leben aussehen? Gut, schlecht, beides im Wechsel? Wie ein langer Weg, den sie einigermaßen glücklich zurückzulegen hoffte? Sie wußte es. Aber nur sie wußte es. Und ich bin nicht

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