Sportreporter
geneigt, über ein Leben zu urteilen, von dem ich nicht viel weiß, zumal sich die Dinge für mich ganz gut entwickelt haben. Am besten kannte ich damals – und kenne ich heute – mein eigenes Leben, mit dem ich zu der Zeit, als meine Mutter mit Jake Ornstein verheiratet war, unter allen Umständen vorankommen wollte. Ich weiß, daß sie und Jake glücklich waren und daß ich meine Mutter, soweit ich – mit meinen geringen Kenntnissen über sie – dazu in der Lage war, sehr liebte. Als sie starb, war ich noch an der Universität. Ich ging zur Beerdigung, fungierte als Sargträger, saß am Wochenende einen Nachmittag lang mit den Leuten, die sie beide kannten, in Jakes Haus herum, versuchte, mich an das zu erinnern, was meine Eltern mir in ihrem Leben beigebracht hatten (was mir einfiel, war »ein Gefühl der Selbständigkeit«). Und am Abend fuhr ich mit der Bahn zurück und verabschiedete mich endgültig aus ihrem Leben. Jake zog später nach Phoenix, heiratete wieder und starb ebenfalls an Krebs. Irv und ich hielten noch ein paar Jahre Kontakt, haben uns dann aber aus den Augen verloren.
Sieht das denn wie ein merkwürdiges Leben aus? Erscheint es seltsam, daß ich keine lange und anekdotenreiche Familiengeschichte zu bieten habe? Oder eine zum Grübeln einladende Problem- oder Haßliste – eine Aufstellung besonders quälender und wehmütiger Erinnerungen, die vorgeben, alles zu erklären oder aufzuwühlen? Möglicherweise wurde ich in eine andere Zeit hineingeboren. Aber vielleicht ist mein Weg der rundum bessere, und der Weg, den die meisten von uns gehen, und der Rest erzählt Lügen.
Trotzdem. Frage ich mich jemals, was meine Familie von mir halten würde? Von meinem Beruf? Als geschiedener Mann, als Vater, auf der Suche nach Frauen? Als Erwachsener, der sich auf Leben und Tod zubewegt?
Manchmal schon. Aber es beschäftigt mich nie sehr lange. Und wenn ich mich frage, dann sage ich mir: Sie hätten wahrscheinlich alles gebilligt, was ich getan habe – besonders meine Entscheidung, das Schreiben aufzugeben und auf etwas umzusteigen, das sie für nützlicher halten würden. Sie würden das so sehen wie ich: daß sich die Dinge manchmal von selbst zum Besten wenden. Mit dieser Denkweise hat sich mir die Chance zu einem interessanten – wenn auch nicht besonders einfachen – Erwachsenenleben eröffnet.
Die paar Kleinigkeiten, die ich erledigen muß, bevor ich Vicki abholen und zum Flughafen fahren kann, sind um 9 Uhr 30 fast geschafft. Gewöhnlich gehört dazu eine Tasse Kaffee mit Bosobolo, meinem Mieter aus dem Seminar in der Stadt, aber heute morgen wird nichts aus dieser mir lieb gewordenen Gewohnheit. Wir hatten schon manchen guten Gedankenaustausch zu Themen wie etwa der Frage, ob die Seligkeit der Erlösten durch die Leiden der Verdammten gesteigert wird – etwas, das er katholisch beurteilt, ich aber nicht. Er ist zweiundvierzig und kommt aus Gabun, und er ist ein strenger Apologet des grenzenlosen Glaubens. Ich trete gewöhnlich für gute Werke ein, aber ohne mir Illusionen darüber zu machen, wohin mich das bringen wird.
Warum einen Mieter ins Haus nehmen? Um die furchtbare Einsamkeit abzuwehren. Warum sonst? Die tröstliche Wirkung der uninteressierten Schritte eines anderen Menschen in einem sonst leeren Haus – erst recht die eines zwei Meter großen Negers aus Afrika, der unterm Dach wohnt – kann beträchtlich sein. Heute morgen ist er jedoch in eigenen Angelegenheiten unterwegs, und vom Fenster aus sehe ich ihn in der Art eines Bibelverkäufers die Hoving Road entlang zur Schule traben – weißes Hemd, schwarze Hosen und aus Autoreifen geschnittene Sandalen. Er hat mir erzählt, er sei in seinem Stamm – den Nwambis – ein Prinz, aber ich habe noch nie einen Afrikaner gekannt, der kein Prinz gewesen wäre. Er hat, wie ich, eine Frau und zwei Kinder. Wir sind beide Presbyterianer, ich allerdings kein besonders guter. Meine anderen Pflichten zwingen mich an den Schreibtisch zu den üblichen Telefongesprächen: zuerst mit dem Magazin und meiner Redakteurin Rhonda Matuzak, die den Gerüchten nachgegangen ist, daß in der Mannschaft der Detroiter nicht alles so rosig ist, wie es aussieht, was für mich zum Problem werden könnte. Bei der Redaktionssitzung herrscht die Meinung vor, ich solle die Reportage machen und mitnehmen, was ich bekommen kann. Der Sport lebt von solchen Zwistigkeiten und gezielten Fehlinformationen, auch wenn mich so etwas nicht sonderlich interessiert.
Rhonda
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