Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
Mutter usw. Die Mutter erwidert jeden Blickkontakt mit Lächeln und der »Grußreaktion« (Papoušek 2011) und kommentiert Simons Verhalten, indem sie z. B. sagt »Ja, was erzählst du denn? Ist das lustig, ja, hast du Spaß?« Nach einigen Minuten wendet sich Simon ab. Sofort spricht die Mutterkaum noch und wenn, dann deutlich leiser, und wartet ab, bis er zeigt, dass er wieder aufnahmebereit ist.
Im Feedback zum Verhalten der Mutter sind folgende Aspekte besonders hervorzuheben: Obwohl die Mutter noch nicht weiß, ob ihr Kind jemals ihre Stimme hören und selbst Sprache entwickeln wird, spricht sie mit ihm und verwendet die typische Prosodie des frühen Eltern-Kind-Dialogs. Dies ist entscheidend, weil immer davon auszugehen ist, dass auch Kinder mit so hochgradigen Hörstörungen ein geringes Resthörvermögen besitzen, und dieses, mit der entsprechenden Verstärkung durch die Hörgeräte, zu ersten Hörwahrnehmungen und damit zur Hörbahnreifung beitragen kann. Die starken Prosodiekontraste (Intonationsmuster, Lautstärkevariationen …) erleichtern dabei die Hörwahrnehmung. Außerdem ist die gesamte Interaktion mit dem Kind eine andere, wenn mit ihm gesprochen oder wenn sprachlos kommuniziert wird. Ein natürlicher Blickkontakt, eine natürliche Mimik, Gestik und Körpersprache sind nur vorhanden, wenn die Bezugspersonen mit dem Kind so sprechen, wie sie es auch tun würden ohne die Diagnose »Hörschädigung«. Und noch ein wichtiger Aspekt muss bei der Mutter im Feedback positiv verstärkt werden: Sie weiß, wie wichtig es ist, dass sie mit ihrem hörgeschädigten Kind viel spricht. Dennoch überschüttet sie das Kind nicht mit Sprache, sondern achtet genau auf seine Aufnahmebereitschaft. Indem sie abwartet, wenn Simon sich abwendet, und mit ihm kommuniziert,wenn er den Blickkontakt sucht,fördert sie die so wichtige Entwicklung der Selbstregulation des Kindes und nebenbei auch die Höraufmerksamkeit für Sprache. Wird die Aufnahmebereitschaft des Kindes nicht beachtet und das Kind mit Sprache berieselt, ohne dass eine echte gemeinsame Zuwendung entsteht, wird die Höraufmerksamkeit für Sprache nicht erhöht, sondern verringert.
Auch bei etwas älteren Kindern ist ein wesentliches Merkmal eines gelungenen Dialoges die gemeinsame Aufmerksamkeit (joint attention). Die Tatsache, dass man sich mit demselben Material beschäftigt, heißt noch nicht, dass man auch über dasselbe Thema spricht. So kann ein 2-jähriges Kind an der Kugelbahn das schnelle Rollen der Kugeln faszinieren und der Vater spricht über die Farben der Kugeln. Da im Dialog Meinungen ausgetauscht werden, werden auch neue Aspekte und Meinungen in die gemeinsame Handlung und den Dialog eingebracht. Dabei muss aber immer darauf geachtet werden, ob das Kind auf diese Anregungen auch eingeht oder sein Thema weiter verfolgt. In demBeispiel bedeutet dies, dass der Vater zum Thema des Kindes zurückkehrt, wenn er bemerkt, dass sich das Kind in diesem Moment gar nicht für die Farben der Kugeln interessiert.
Für eine natürliche Interaktion ist es wichtig, dass die Eltern mit dem hörgeschädigten Kind in ihrer Muttersprache sprechen, in der sie entspannt und fehlerfrei kommunizieren können. »Vor allem in der ersten Phase des Spracherwerbs kommt der Muttersprache eine bedeutende Funktion zu. Sie dient der Kommunikation auf sozialer Ebene, der Wissensvermittlung, der angemessenen sozialen und emotionalen Entwicklung und der Vermittlung kultureller Werte« (Diller & Martsch 2010, S. 8). Die Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion muss daher auch stattfinden, wenn die Eltern eine andere Sprache sprechen. Auch wenn man selbst die Sprache nicht beherrscht, können trotzdem wesentliche Elemente beobachtet werden, wie z. B.: Wird zu laut oder zu leise gesprochen? Entsteht ein Dialog? Imitiert das Kind spontan einzelne Wörter im Dialog? Wird mit lebendiger Prosodie gesprochen? Wird eine natürliche Körpersprache verwendet? Wird auf die nonverbalen und verbalen Beiträge des Kindes eingegangen?
Der Alltag von Säuglingen und Kleinkindern besteht neben dem Spiel zum Großteil aus der Interaktion bei immer wiederkehrenden Handlungen wie Füttern, Wickeln, Anziehen, Ausziehen, Waschen usw. Dazu kommt, dass sich Kleinkinder oft mehr für Alltagsgegenstände, wie Spülmaschine, Waschmaschine, Staubsauger, Besen, Töpfe und Gießkannen interessieren als für Spielzeug. Die Eltern-Kind-Kommunikation in individuell relevanten Alltagssituationen ist daher neben
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