Sprechende Maenner
Männlichkeit. Man verliert dabei nicht die Unschuld, aber die Unbekümmertheit. Man ist, davon bin ich überzeugt, ein anderer Mensch, wenn man zum ersten Mal mit brennendem Hinterteil eine urologische Praxis verlässt.
aw:
Lieber Maxim, schön finde ich die Idee, dass wir Männer ein emotionales Jungfernhäutchen haben. Das bedeutet, unsere Entjungferung findet erst irgendwann zwischen Mitte 30 und Mitte 40 statt. Bei anderen erst mit Mitte 50. Oder noch später. Aber kann man ohne emotionale Entjungferung emotional erwachsen werden?
re:
Lieber Jochen, lass uns doch mal einen kurzen Gesundheitscheck machen. Wir sind doch in dem Alter. Okay?
aw:
Muss das sein?
re:
Ich fange auch an.
aw:
Du bist da richtig scharf drauf. Was ist los?
re:
Das Schlimmste haben wir doch hinter uns. Das Eis ist gebrochen, Brother.
Jetzt machen wir Körperinventur!
aw:
Du bist da echt scharf drauf.
re:
Lieber Jochen, aufgetretene Krankheiten und körperliche Auffälligkeiten zwischen meinem 20. und 40. Lebensjahr: Haarausfall. Zum einen Mönchsplatte, zum anderen Napoleonschläfen. Graue Haare. RegelmäÃige Muskelverspannung in der linken Schulter. Der Arzt sagt, das sei mein schwacher Punkt. Knie rechts: Meniskus plus Kreuz band problematisch. Ãberwundene Prostataentzündung. Kurzsichtigkeit. Gelegentlich Hämorrhoiden. Hüftschiefstand.
aw:
Knorpelschaden linkes Knie. Knorpelschaden rechtes Knie. Gehirnhautentzündung. Kurzsichtigkeit. Analthrombose. Hüftschiefstand.
re:
Der Hüftschiefstand verbindet uns. Wir wären ein hübsches Tanzpaar â¦
Für mich ist Krankheit immer mit Alter verbunden. Früher war ich nie krank, und auch heute bin ich es selten. Aber wenn ich dann krank bin, werde ich ziemlich anstrengend, weil ich immer denke, jetzt ist es mit mir vorbei. Mit meiner Jugend, meiner Gesundheit, meinem Leben. Es sei denn, es handelt sich um eine altersneutrale Krankheit. Zum Beispiel Grippe.
aw:
Lieber Maxim »Die Hüfte« Leo, ich erinnere mich an einen Arztspruch aus meiner Kindheit, den ich heute vermisse: »Dafür bist du doch noch viel zu jung.«
Das war toll. Ein Freifahrtschein. Ich hatte Dinge, die kamen und gingen, aber nie blieben und mein Leben veränderten. Heute habe ich Freunde, die einen Schlaganfall oder Darmkrebs hatten. Oder einen Herzschrittmacher brauchen. Ein Kollege, nur ein paar Jahre älter als ich, leidet an Parkinson.
Neulich las ich: Einer von sechs Männern erkrankt an Prostatakrebs. Da habe ich gedacht: All den anderen Krebsarten zu entkommen, plus der Altersdemenz, plus Parkinson, plus Alzheimer, plus Erek tionsproblemen, plus Schlaganfall, plus plus plus. Das ist schon rein statistisch total unwahrscheinlich.
Ich habe Angst vor dem körperlichen Versagen. Dem Schwinden der Kräfte. Ein Mann hat doch Kraft. Vielleicht nicht ewige Jugend, aber Kraft.
Selbst alte Männer, das ist mir aufgefallen, zerbrechliche Opas, schüt teln einem immer kräftig die Hand. Sie drücken zu. Ich glaube, das ist ihre Art, eine letzte Gelegenheit, zu zeigen, dass sie noch Kraft haben.
Vor ein paar Tagen habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Lebenserwartung bei Männern und Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg nur drei Jahre auseinanderlag. Mittlerweile leben Frauen sechs bis sieben Jahre länger. Es sei aber kein genetisches Problem. Sondern nur ein kulturelles, soziales. Das heiÃt, ganz konkret, der Mann geht zu selten zum Arzt. Er geht vor allem nicht zur Vorsorge. Wir sind jetzt im Vorsorgealter.
Also ich noch nicht, ich hab noch ein paar Monate, aber du.
PS : Ich lese gerade bei Wikipedia, die Prostata hat die GröÃe und Form einer Kastanie. Und: »Die Prostata gilt als der männliche G-Punkt.«
WeiÃt du was Genaueres?
re:
Lieber Jochen, ich denke, wir entdecken unseren Körper mehrmals. Mit fünfzehn, sechzehn wird uns klar, was mit diesem Körper alles möglich ist.
Jetzt läuft die zweite Entdeckungsphase. Manche Körperteile fallen einem erst auf, wenn sie Geräusche machen oder wehtun. Männer, die wissen, wo ihre Prostata ist, gehören schon zu den fortgeschrittenen Entdeckern.
Im vergangenen Sommer schwamm ich mit meiner Tochter Anais um die Wette über einen See. Anais ist zehn. Am Anfang schwamm ich nicht schnell, bis ich merkte, dass sie mich abhängt. Am Ende musste ich alles geben, um noch ein bisschen vor ihr anzukommen. Das ist schön und
Weitere Kostenlose Bücher