Sprechende Maenner
geschieht Folgendes: Man gewöhnt sich an die neuen Umstände. Das Ãnderungsbedürfnis erlischt.
Mein Vater liest seit Jahren mit einer kaputten Lesebrille. Der linke Lesebrillenbügel ist gebrochen. Der Bügel hängt, so wie ein gebroche nes Spatzenflügelchen. Trägt mein Vater die Lesebrille, hängt die Brille schief in seinem Gesicht. Er sieht damit aus wie ein Idiot, sagt meine Mutter. Mein Vater könnte sich eine neue Lesebrille kaufen, sagt aber, er hätte sich an die Brille gewöhnt. Er sagt: Aber die ist doch noch gut.
Das ist der männlichste Satz, den ich kenne. »Aber de r /di e /das ist doch noch gut.« Von keiner Frau habe ich das je gehört.
Die Analthrombose ist ein Sonderfall. Ich habe zwei, drei Tage abgewartet, aber der Knoten wuchs. Ich konnte nicht mehr schmerzfrei sitzen, was schwierig ist in meinen Beruf. Ich schrieb im Stehen. Aber der Knoten wuchs. Ich dachte: Bevor dein Hintern eine dritte Backe hat â geh zum Arzt.
Aber zu welchem Arzt? Ich war mein Leben lang nur bei Allgemeinmedizinern. Frauen haben »ihren« Frauenarzt. Männer haben nicht »ihren« Männerarzt. Ich gab im Internet bei Google ein: »Knoten am After Arzt Berlin«.
So gelangte ich zu Dr. Horst Loch.
re:
Klar, Horst Loch. Der Kollege von Mario Rosetti. Der Schwippschwager von Günther Stuhl.
aw:
Das ist kein Witz, Maxim! Ich schwöre! Gib bei Google ein: »Dr. Loch Berlin«.
Die Praxis von Dr. Loch war überraschend voll. Voll älterer Männer, ich war mit Abstand der jüngste. Es war wie ein Besuch in der Zukunft, und ich musste daran denken, dass es Leute gibt, die sagen, sie hätten keine Angst vor dem Alter. Ich wurde von Dr. Loch auf einem Stuhl behandelt, bei dem man die Beine spreizen muss, so ein Gynäkologenstuhl für Männer. Ich hatte keine Angst. Eher Scham. Viel Scham. Noch nie hat ein Mann in meinen erwachsenen Hintern geguckt und seinen Finger reingesteckt. Nicht mal ich selbst.
Auf der Internetseite von Dr. Loch steht in GroÃbuchstaben der Satz: HABEN SIE KEINE UNNÃTIGE ANGS T !
Als Mann ist man Unterleibsuntersuchungen nicht gewohnt. Wir wachsen nicht damit auf, wir sind verklemmt. Ich war jedenfalls verklemmt. Wir machen grobe Witze und schauen Pornos, aber wir werden nervös, wenn wir vor einem Arzt stehen und die Hose runterlassen. Seltsam, oder?
Dr. Loch sagte, er mache gleich einen ambulanten Eingriff. Ich wechselte in das Eingriffszimmer, und Dr. Loch arbeitete jetzt nicht mehr allein, sondern mit einer Schwester. Irgendwann kam noch eine zweite Schwester dazu, schaute auf meinen Hintern, sagte: »Herr Melzer liegt schon in der Vier bereit« und verschwand wieder.
Dr. Loch arbeitete mit einem Gerät, einer Art Lötkolben. Männerärsche werden wie Autos behandelt, Maxim. Mit dem Lötkolben schloss er die Thrombose, die aufgeplatzte Vene.
Zweimal ging ich anschlieÃend zur Nachuntersuchung. Ich würde meinen Hintern jetzt als geheilt betrachten, habe aber das Gefühl: Die Analthrombose war erst der Anfang. Ich habe Dr. Loch vermutlich nicht zum letzten Mal gesehen. Er ist jetzt »mein« Arzt.
Tag 10
An dem entdeckt wird, dass auch Männer eine Jungfernhaut haben und eine Nagelfeile zu einem überraschenden Einsatz kommt
Lieber Jochen, du warst so freundlich, mich in die dunklen Geheimnisse deines Rektums einzuweihen. Unter Männern ist das gegenseitige Beschreiben der analen Situation ja so eine Art moderne Blutsbrüderschaft, oder? Ich hatte mal eine Prostataentzündung. So was geht schnell, einmal ein bisschen den Popo verkühlt. WeiÃt du überhaupt, wo die Prostata liegt?
aw:
Da unten. Südlich vom Bauchnabel.
re:
Nördlich vom Sack. Direkt im Schritt. Den exakten Standort spürte ich, als der Urologe, der später »mein Urologe« wurde, diesen lächerlichen Fingerpräser überstülpte, Gleitgel auf meine Rosette spritzte, seine Hand in meinen Po rammte und tastete. Dieser brennende Schmerz war das Furchtbarste, was ich je erlitten habe.
Es ist genau, wie du sagst, man fühlt sich ausgeliefert. Vergewaltigt. Ich bin überzeugt davon, dass auch der Mann so eine Art Jungfernhaut hat. Und sei sie auch nur emotionaler Natur. Der erste Urologenbesuch ist ein groÃer Wendepunkt im Leben eines Mannes. Eben noch war man ein Ejakulationswunder, ein junger Brausewind. Und auf einmal pikt ein kalter Finger in das Zentrum der eigenen
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