Sprechende Maenner
es mir nicht mehr gefiel. Ich habe manchmal zu Freunden gesagt, im Scherz: »Wenn ich mal groà bin, dann â¦Â« Aber es war nicht nur ein Scherz, auch Beruhigung. Mein Leben lag in der Zukunft, es fing erst noch an. Es war wie Knete, nicht wie Beton. Das Einzige, was ich mir anschaffte, dauerhaft, war ein Beruf.
re:
Lieber Jochen, auf diese Weise fängst du nie richtig an. Das ist dir schon klar? Es ist ein Selbstbetrug zu glauben, das Leben liege in der Zukunft.
aw:
Lieber Maxim, ja, das ist Selbstbetrug. Aber ist eine Beziehung nicht auch oft Selbstbetrug? Die Ehe?
Die Liebe ist wichtig, aber ich nehme sie längst wahr wie einen Film. Wie Kino. Sie ist, wenn ich ehrlich bin, weitgehend befreit von Realismus. Der Gedanke an die Liebe wärmt mich ein bisschen, aber wenn mich jemand fragte: Willst du endlich eine Beziehung? Ich weià nicht, was ich antworten würde.
Ich habe Bindungen, aber nur in einem für mich erträglichen MaÃe. Ich muss nicht mit jemandem zusammenwohnen, aber ich brauche jemanden, den ich anrufen kann, mit dem ich Zeit verbringen kann. Ich teile mein Leben nicht mit einem Menschen, ich teile es mit vielen Menschen. Vielleicht ist das meine Form von Bindung, von Beziehung. Eine, die zu mir passt.
Alle haben Angst vor dem Alleinleben. Sogar die Alleinlebenden. Ich kenne Alleinlebende, die sofort, wenn sie jemanden kennenlernen, anfangen, »an der Beziehung zu arbeiten«. Also sie arbeiten nicht an der Beziehung â sie arbeiten daran, überhaupt zusammenzukommen. Am Beziehungsbeginn. Am Verlieben. Sie versuchen Schmetterlinge zu züchten.
Ich habe mich sehr oft nicht verliebt. Während der vergangenen zehn Jahre war das Nicht-Verlieben meine Hauptbeschäftigung. Was sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr veränderte, war die Einstellung. Irgendwann dachte ich, dass es Unangenehmeres gibt als Nicht-Verlieben. Zum Beispiel: Verlieben. Und dann irgendetwas da raus machen müssen.
re:
Lieber Nicht-Verlieber, woher kommt diese Angst, deinem Leben eine Form zu geben? Warum denkst du da gleich an Beton, an Unfreiheit? Nur Kinder spielen mit Knete, Jochen, hab ein bisschen Mut!
Deine gröÃte Angst scheint darin zu bestehen, nicht wach und intensiv genug zu leben, in geordneten Verhältnissen einzuschlafen. Grundsätzlich kann ich das gut verstehen. Aber man wird nicht zwangsläufig langweilig, weil man in einer Beziehung lebt oder Kinder hat. Genauso wie das Leben ja nicht schon deshalb aufregend ist, weil man das alles nicht hat.
Wenn ich mir dein Leben so anschaue, dann frage ich mich, was du mit deiner ganzen Freiheit anstellst. Wofür nutzt du diesen ganzen Raum, der dir so wichtig ist? Du gehst arbeiten, gehst in Bars, gehst was essen, triffst Frauen, spielst FuÃball. Das ist also das Ergebnis deiner Freiheit? Was von alledem wäre denn bedroht, wenn du dich mal auf etwas einlässt? Auf einen Menschen, auf eine Lebensform, die mehr ist als ein Zelt.
Die Möglichkeit, Jochen, wird für dich zum Wert an sich, weil sie so schön offen und unbestimmt ist, weil nichts muss, aber alles kann. Du schriebst mir einmal, die Sehnsucht wäre das Gefühl, dem du dich am liebsten hingibst. Sehnsucht ist die Möglichkeitsform der Liebe, ist die Möglichkeitsform von allem. Sehnsucht ist die Passion derer, die sich für nichts entscheiden wollen. Man sehnt sich nach etwas, was man eigentlich gar nicht haben will. Man leidet so angenehm an sich selbst. Das hast du doch gerne, Jochen, oder?
Das alles hat aber mit dem richtigen Leben nichts zu tun. In Wahrheit bist du weder frei noch intensiv noch echt. Du bist verängstigt. Vor allem betrügst du dich gerade um dein Leben, und das finde ich schade.
Noch ein Wort zum Leben mit einer Frau, also das, was man gemeinhin Beziehung nennt. Du hast eine eindimensionale, statische Vorstellung davon. Du denkst, die Beziehung beginnt, man baut sie auf, und dann steht sie irgendwann da und wird nur noch verwaltet. Da bei gibt es wahrscheinlich wenige Dinge, die so komplex und dynamisch sind. Die Beziehung, die ich heute mit Catherine führe, hat nur noch wenig mit der Beziehung zu tun, die uns am Anfang verbunden hat. Sie ist vielschichtiger und reicher geworden, weil unser ganzes Leben reicher geworden ist. Unsere Kinder sind ein Teil dieses Reichtums. Wie einsam und nutzlos würde ich mich fühlen, wenn ich die Kinder nicht hätte! Sie geben meinem Leben einen Sinn.
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