Sprechende Maenner
Beziehungen erzählt, so nüchtern und ehrlich, wie es nur getrennte Paare können. Man muss keine Rücksicht mehr nehmen, hat nichts mehr zu verlieren. Ich könnte mir vorstellen, dass man bestimmte Dinge erst zu denken wagt, wenn die Beziehung vorbei ist.
Die Getrennten erzählten von kleinen Missverständnissen, von Verstimmungen, von Momenten der Unachtsamkeit. Es gab nichts Dramatisches, keinen groÃen, überzeugenden Grund, sich so lange zu betrügen. »Passt auf euch auf. Fühlt euch nicht zu sicher«, sagten sie. Catherine und ich saÃen daneben und sagten nichts.
aw:
Du schreibst »Zwei von uns kamen sich zu nahe«. Was genau ist da passiert?
re:
Marko aus dem ersten Stock hatte ein Verhältnis mit Claudia aus dem fünften Stock. Drei Jahre lang schliefen sie heimlich miteinander. Irgendwann hielten sie es nicht mehr aus. Sie erzählten ihren Ehepartnern alles. Ein Paar zerbrach sofort. Das andere jetzt gerade.
Vor zwei Wochen sah ich Marko, der die letzten Kisten aus der Wohnung trug, in der er mit Lisa wohnt. Wohnte, muss ich jetzt sagen. Ich ging durch die halb leere Wohnung und dachte daran, wie oft wir hier zusammen gegessen, gefeiert, gelacht hatten. Es bleibt nicht viel übrig am Ende. Ein paar Umzugskisten auf einem Treppenabsatz.
Marko und Lisa erzählten uns oft von ihren Plänen. Sie wollten noch ein paar Jahre arbeiten, möglichst viel Geld verdienen und dann nur noch machen, worauf sie Lust haben. Frei sein. Beide hatten keine konkreten Pläne für die Freiheit. »Das werden wir dann sehen«, sagten sie.
Ich half Marko, die letzten Kisten runterzutragen. Er stieg in den weiÃen Transporter, lächelte und sagte, nichts sei für die Ewigkeit.
Ich wollte noch etwas antworten, aber er war schon weg.
Vergangenes Wochenende feierte Lisa eine Party in der halb leeren Wohnung. Ich glaube, sie wollte ein Zeichen setzen, dass es trotzdem weitergeht. Sie schickte eine SMS und bat darum, »wie immer ein paar Köstlichkeiten für das Buffet mitzubringen«. Die Partygäste, die gleichen, die in all den Jahren zuvor ein Paar besucht hatten, sahen nun eine alleinstehende Frau, die tapfer lächelte und betont ausgelassen tanzte. Was sollte sie auch machen?
Diese Party, Jochen, war eine seltsame Veranstaltung. Ein Ball der gebrochenen Herzen. Ich unterhielt mich zuerst mit einer Freundin von Lisa, die auch gerade verlassen worden war. Nach 27 Jahren. Die klassische Geschichte, er hat eine Jüngere. Dann sprach ich mit Carola, einer Nachbarin, die vor sechs Monaten von ihrem Mann gegen eine Praktikantin eingetauscht wurde.
Das Verstörende an dieser Party war, dass hier dieselben Leute feierten, mit denen wir auch vor zehn Jahren gefeiert haben. Aber bei vielen ist in dieser Zeit etwas passiert, etwas, das ihre Leben für immer verändert hat. Frank hatte vergangenes Jahr einen Herzinfarkt und brach auf einem Bahnsteig zusammen. Er lag sechs Wochen im Koma. Bei Martin aus dem Seitenflügel starb vor drei Jahren die Frau, er lebt jetzt allein mit seinem Sohn in der groÃen Wohnung. Und Michael kam seine Frau Olivia abhanden. Olivia verschwand ohne Spuren. Vor zwei Jahren sah Michael sie zum letzten Mal.
Er weià nicht, ob sie tot ist oder abgehauen.
Du hast mal geschrieben, Jochen, ich sei ein unbeschädigter Mann. Das ist richtig. Aber die Einschläge kommen näher. Ich bin umgeben von gezeichneten Menschen. Manchmal wünsche ich mir ein kleines Unglück, damit es kein groÃes Unglück geben muss. Ich stelle mir vor, dass es eine Art Glückskonto gibt. Und irgendwann ist dieses Konto voll, und es muss etwas Unglückliches passieren. Zum Ausgleich. Ich denke nicht oft daran, ich bin ja nicht wahnsinnig. Aber an diesem Abend, auf dieser Party, bedrückte mich mein eigener Kontostand. Lisa sagte, wir hätten Glück gehabt, Catherine und ich. Sie sagte, sie glaube an uns. Ich fühlte mich wie der letzte Läufer. Der, auf dem alle Hoffnungen ruhen. Der Mann, der es nicht versauen darf.
aw:
Lieber Maxim, Glück ist banal geworden. Die Erwartung ist, dass man glücklich ist. Irgendwann, spätestens. Glück gehört zu unserem Lebenskalkül. Wir rechnen damit. Vielleicht sind wir deshalb vom Unglück so überrascht. Bist du jetzt so überrascht? Verändern dich all die »beschädigten« Menschen und Beziehungen um dich herum? Passt du jetzt mehr auf, strengst dich mehr
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