Sprechende Maenner
so kompliziert â¦
re:
Lieber Jochen, du denkst, eine Beziehung wird nach einer gewissen Zeit zwangsläufig langweilig. Das lese ich aus deinen Zeilen. Bei vielen Paaren mag das so sein, aber es ist, glaube ich, kein Naturgesetz. Klar gibt es die erste Verliebtheit, und man entdeckt einen Körper, und wenn es gut läuft, fliegen auch ein paar Schmetterlinge durch die Gegend. Aber genauso schön ist es, Vertrauen zu haben, sich hinzugeben. Sich niemand anderen mehr an seiner Seite vorstellen zu können. Einer Frau sein Leben zu schenken, mit ihr Kinder zu haben. Das klingt kitschig und übertrieben? Na und?
Du sprichst von nachlassender Erotik. Aber was ist mit der Nähe, die gröÃer wird? Eine Beziehung wird mit den Jahren nicht schlechter, sie wird anders. Reifer. Ich weiÃ, du kannst damit nichts anfangen. Reife Beziehung klingt für dich wie Sex mit dritten Zähnen. Mir geht es nur darum, dir zu sagen, dass du keine Angst haben musst. Wenn du eine Frau findest, die du liebst, kannst du mit ihr alt werden, auch ohne dir oder ihr etwas vormachen zu müssen. Vorausgesetzt, du bleibst dran.
Ich wünsche dir eine gute Nacht. War anstrengend heute, aber Streit ist wichtig und gut. Sagt zumindest Catherine immer. Dein Pater Leo
Tag 32
An dem mal ganz grundsätzlich der Unterschied zwischen Geborgenheitsliebe und Stromliebe erklärt wird. Und das Begehren gleich noch mit
Verehrter Pater Leo, Heilige Dreifaltigkeit in Menschengestalt, ich glaube nicht, das eine Beziehung mit den Jahren zwangsläufig fad werden muss. Das schwöre ich beim Leib unserer Jungfrau Maria.
Ich glaube aber, dass es nach zehn oder fünfzehn Jahren anstrengender wird, die Liebe zu erhalten. Der Arbeitseinsatz wird gröÃer. Mit 40 gibt es immer weniger Dinge, die eine Liebe von auÃen zusammenhalten. Die Kinder sind nicht mehr klein, die Wohnung abbezahlt. Man ist wieder mehr auf sich selbst zurückgeworfen. Und ja, ich glaube, die Erotik lässt nach. Meistens. Das ist nicht meine Idee, das ist ein Fakt. Wissenschaftlich erwiesen, getestet, begutachtet.
»Eine Beziehung wird mit den Jahren nicht schlechter, sie wird reifer«, sagst du. Das mag sein. Das ist gut. Du hoffst jetzt auf die Reife und damit auf eine Art Tauschgeschäft: Weniger Bettzeit, dafür mehr Nähe. Weniger Ekstase, dafür bessere Gespräche. Ich finde das auch nicht falsch oder schlecht. Die Frage, die mich interessiert, liegt im Graubereich: Wo betrachte ich eine Beziehung noch mit dem notwendigen Realismus, frei von übertriebenen Erwartungen? Und wann bin ich schon zu bequem, um überhaupt noch Erwartungen zu haben?
aw:
Du meinst, ich sollte meine Beziehung infrage stellen?
re:
Nein. Du könntest dir nur überhaupt mal Fragen stellen. Ãber dich. Ãber deine Frau. Ãber dein Leben.
aw:
Ich gebe mir wirklich Mühe â beim Fragenstellen. Vielleicht habe ich noch nicht deine Erfahrung, aber ich bin willig. Du bist, was deine Fähigkeit der Selbstanalyse angeht, viel weiter als ich. Aber ich will trainieren! Selbstanalytisch werden!
re:
Okay. Eine einfache Frage zum Trainieren. Leicht zu beantworten. Nachdenken für Anfänger. Von all den Jahren deiner Beziehung, Maxim:
Wie viele waren a) sehr glücklich, b) glücklich, c) okay, d) schwierig?
aw:
Trainingsfrage, ja? Im Bereich Schwierigkeiten und Unglück habe ich noch groÃe Schwächen. Nach ein paar Tagen habe ich Schwierigkeiten und Unglück leider vergessen. In meiner Erinnerung liegen deshalb siebzehn Jahre Eheglück hinter mir. Du müsstest für eine profunde Analyse Catherine fragen. Würde mich auch interessieren, was sie sagt. Wenn ich mich aber bemühe, meine Ehe kritisch und von ganz weit weg zu sehen, dann würde ich sagen: Basislevel okay, mit nicht selten glücklichen Ausschlägen.
re:
Du hast Schwierigkeiten und Unglück nach ein paar Tagen vergessen?
aw:
Lieber Jochen, normalerweise reicht es mir, wenn es mir gut geht. Ich muss nicht wissen, warum es mir gut geht. Diese Warum-Fragen sind wider meine Natur, verstehst du das? Das spärliche Wissen, das ich über mich habe, ist wahrscheinlich der Preis, den ich bezahle für mein zufriedenes Gefühl. Es ist wie mit den Bauern in der russischen Taiga, die auf einmal einen Stromanschluss in ihre Lehmhütten bekommen. Und als sie zum ersten Mal das Licht anmachen, sehen sie, wie hässlich ihre Hütten sind. Und sie
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