Sprechende Maenner
halten könnte. Während sie spricht, während ich aufmerksam nicke, denke ich: Was gefällt ihr? Was würde ihr gefallen an mir? Ich beginne wie ein Verkäufer zu denken, ein Verkäufer meiner selbst. Ich werde dadurch ganz zwangsläufig etwas verlogen, in Grenzen unaufrichtig.
Anna fährt gerne Rad. Sogar im Winter. Sie mag Männer, die Rad fahren. Sie erzählt mir das, und ich nicke, lächle und denke: ScheiÃe. Du sagst jetzt nicht, dass du gar kein Fahrrad besitzt. Dass du seit zehn oder fünfzehn Jahren kein Fahrrad mehr gefahren bist. Dass du Fahrradfahren albern findest, dass du im Auto über niemanden so fluchst wie die verdammten Fahrradfahrer, die Verkehrsverlangsamer, die Ohne-Licht-Fahrer, die Ãkotrutschen, die Fahrradmänner, die ihren Kopf in potthässliche Helme schnallen.
Ich lüge nicht, Maxim. Ich schweige verlogen. Anna fragt mich ja auch nicht, ob ich ein Rad habe. Sie fordert also nicht direkt Wahrheit ein. Vermutlich weil sie sich das nicht vorstellen kann: ein Mann ohne Rad.
Wir verlieÃen das Bistro ziemlich betrunken. Anna hatte nicht weniger getrunken als ich. Das finde ich gut. Sie hatte auch nicht weniger gegessen. Nur unglaublich langsam. So langsam wie ein Kind.
Ich brachte sie zur Ecke. Dann ging sie wieder nach links, die StraÃe rauf, und ich nach rechts, die StraÃe runter.
Kein Kuss auf den Mund, nur eine Umarmung mit Wangenkuss. Mein Herz war ruhig. Aber angenehm gewärmt. Und ich dachte trotzdem, Maxim, dass alles keinen Sinn hat. Erst das zweite Treffen, und schon trägt sie seltsame Wildlederschuhe und fährt ständig Rad. Beim dritten, vierten Treffen, sollte es eines geben, werden weitere ScheuÃlichkeiten herauskommen.
Jedes Treffen wird sowieso immer schwerer. Es muss ja weitergehen. Der nächste Schritt gegangen, die nächste Stufe erreicht. Man bohrt immer tiefer im Leben des anderen. Es ist auch nicht schlimm, wenn es endet. Das ist ja die Regel, Maxim. Liebesgeschichten beginnen oft nicht. Zwei angenehme Treffen, das ist keine schlechte Ausbeute. Eine Ausbeute, mit der man sich schon mal zufriedengeben kann. Ich brauche Anna nicht. Und sie mich auch nicht.
Das ist die Lage. Das ist der Stand.
re:
Ich dachte mir schon, dass der alte Jochen irgendwann durchkommt. Vergiss die Fragen, die nächsten Schritte. Konzentriere dich nur auf dein gewärmtes Herz. Was ist schlecht an Wildlederschuhen? An Fahrrädern? Eine Frau könnte angeklebte Fingernägel tragen, zu laut lachen, eine Raucherhaut haben, unerträglich dumm sein oder sich für Astrologie interessieren und dich nach deinem Sternzeichen fragen und dem dämlichen Aszendenten. Das alles wäre möglich gewesen, Jochen. Du hast Glück, weil sie nur Fahrrad fährt. Das ist sehr gut, Jochen. Also such keine Vorwände, keine Munition für den Rückzug.
Beachte die alte Regel von Väterchen Leo aus dem Jahre 1873: Keine Erwartung, keine Enttäuschung.
PS : Hättest du Anna schon küssen können an diesem Abend?
aw:
Vielleicht.
re:
Warum hast du nicht?
aw:
Warum sollte ich?
re:
Weil man das so macht als Mann. Der Mann gibt den Takt vor, will vorankommen. Er will erst küssen. Dann fummeln. Und dann die Nuss knacken. Und das alles möglichst zügig.
aw:
Stimmt, Maxim. Mit 20 und auch noch mit 28. Aber ich bin 39, und Anna ist 35. Schnell die Nuss knacken ist gut, aber ehrlich gesagt, hoffe ich heute eher, dass es nicht zu schnell geht. Es ist doch so: Bis Ende 20 rennen die Männer vorneweg, weil sie Sex wollen. Ab Anfang 30 rennen dann die Frauen vorneweg, weil sie Kinder wollen und ein Eigenheim am Stadtrand.
Ich hoffe, dass die Frau nicht zu schnell mehr will als ich. Dass es keine Dysbalance der Liebe gibt. Bedeutet: Sie hat Gefühlsvorsprung, und ich renne hinterher. Sie fühlt schon, während ich erst noch fühle, ob ich fühle. Sie denkt: Ich will ihn! Ich denke: Will ich sie?
Eine Dysbalance macht alles schwierig. Sie führt zu Fragen, Vorwürfen.
Zum Beispiel zu der Frage: »Was ist los mit dir?«
Dann sage ich: »Nichts.«
Dann fragt sie: »Bist du verliebt?«
Ich sage: »Ich glaube, ja.«
Und sie sagt: »Glaubst du oder weiÃt du?«
Und ich sage: »Ich weià nicht, aber ich glaube.«
Und sie sagt: »Warum weiÃt du das nicht?«
Und schon ist man in einem Paarstreit, ohne ein Paar zu sein.
Ich bin langsam in Gefühlssachen, Maxim.
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