Sprechende Maenner

umfänglich, werfe mich in den Staub, aber das nutzt nichts. Ich muss darauf warten, dass Catherine vom Brüllen und Weinen erschöpft in sich zusammensinkt. Jetzt ist sie empfänglich für zerknirschte Liebesbekenntnisse, die ich ihr wie Sternenpulver ins Ohr hauche. Aber das dauert. Man muss ein guter Haucher sein.
    Irgendwann blickt sie auf. Und dann geht die Diskussion noch mal los. Diesmal allerdings von hinten. Das heißt, wir verfolgen rückwärtslaufend den Weg des Streits, um schließlich zu der überraschenden Erkenntnis zu kommen, dass ich schuld bin. Jetzt ist es an mir, noch mal den Dornengürtel rauszuholen, und wenn ich dann blutend und klagend und erschöpft am Boden liege, gibt mir Catherine ein Zeichen, und ich weiß, dass es nun an der Zeit ist, sie zum Versöhnungssex ins Ehebett zu tragen.
    So läuft das bei uns. Und vielleicht verstehst du jetzt, warum ich das alles so schnell wie möglich vergessen muss.
    40 Minuten später
    Lieber Jochen, mir ist noch was eingefallen. Weil ich ja ehrlich sein will. Und reflektiert. Ich bin ein schlechter Streiter. Ich denke, das liegt daran, dass ich mich nicht streiten will. Streiten kostet mich viel Kraft, weil es mich verunsichert. Diese negativen Energien, das Zerstörerische, der Hass. Ja, es ist Hass, der da entstehen kann, selbst dem Menschen gegenüber, den ich liebe. Ein Streit zwischen Liebenden ist viel intimer, viel verletzender, viel härter, als er es je zwischen Freunden sein könnte. Es ist ein Sekundenhass, der schnell wieder verschwindet. Auch bei Catherine spüre ich manchmal Hass. Sie kann sich dann nur noch mühsam beherrschen, mich nicht zu schlagen. Sie wirft mit Schuhen oder Äpfeln nach mir, was schon wieder lustig ist, weil sie weit danebenwirft. Ich weiß gar nicht, wer mich sonst noch so aufregen könnte wie Catherine. Kann man jemanden hassen, den man nie geliebt hat?
    Streit ist auch eine Vertrauensfrage. Wage ich es, dem anderen meine tiefsten und ehrlichsten Gedanken an den Kopf zu schleudern, auch wenn sie für ihn verletzend sind? Kann ich meine Höflichkeit und meine Vorsicht ausschalten und zum kämpfenden Tier werden?
    Catherine sagt, ich hätte keine Streitkultur, und da hat sie wohl recht. Ich habe immer meine Eltern streiten sehen. In meiner Erinnerung haben sie viel gestritten. Am Ende saß meine Mutter weinend an ihrem Schreibtisch, und mein Vater stürmte voller Wut in sein Atelier. Und Stunden später hielten sie sich in den Armen. Das war das Gute, das ich bei meinen Eltern gesehen habe. Dass man sich wieder vertragen kann. Sogar muss.
    re:
    Wie oft hast du Streit mit Catherine?
    aw:
    Schwer zu sagen. Es gibt keinen festen Rhythmus wie beim Sex. Streit ist ein Saisongeschäft. Kennst du die Vulkantheorie?
    re:
    Nee. Aber es gibt Frauen, die nennen mich »mein strammer Vesuv«.
    aw:
    Ja, sicher, Jochen. Nach der Vulkantheorie ist Streit etwas Nützliches, Reinigendes. Die Eruption bringt Entspannung, der Vulkan muss ab und an ausbrechen, weil der Berg sonst implodiert.
    re:
    Kenn ich!
    aw:
    Jochen, ganz ruhig. Ich mag die Vulkantheorie. Sie hilft mir, die Streite zu ertragen. Wenn ich mich schon streiten muss, dann wenigstens mit Beziehungsmehrwert. Aber du fragst nach der Streithäufigkeit. Ich würde sagen: Zweimal im Monat raucht bei uns der Berg.
    re:
    Zweimal im Monat heißt 24-mal im Jahr. Heißt bei 17 Jahren Beziehung insgesamt 408 Streite bislang. Wie lange dauert so ein Streit, durchschnittlich?
    aw:
    Zwei Stunden.
    re:
    Macht dann 816 Stunden Streit bislang.
    aw:
    Aber auch Versöhnungssex.
    re:
    Aber nicht zwei Stunden.
    aw:
    Aber zwanzig Minuten. 408 mal 20 Minuten … macht 8160 Minuten Versöhnungssex!
    re:
    Durch sechzig … macht 136 Stunden Sex im Verhältnis zu 816 Stunden Streit.
    Der »Streit-Sex-Koeffizient« liegt damit bei: 6. Das ist eure Umlaufrendite als Eheunternehmen.
    aw:
    Ist das gut?
    re:
    Für jede Minute Sex musst du sechs Minuten streiten.
    aw:
    Du ziehst mich runter.
    re:
    Ich betreibe nur Wissenschaft. Wie gehst du mit den nervigen Seiten von Catherine um? Eigentlich gibt es doch nur zwei Wege. Man versucht die Frau zu verändern. Oder man gewöhnt sich an sie. Frauen sagen ja gerne: »Ich will dich nicht verändern. Ich will dich verbessern.«
    aw:
    Ich halte nichts von Umerziehung. Du nimmst das ganze Paket, oder du lässt es. Nur so funktionieren