Spring in den Himmel
in die Augen.
Nein, Yoyo wollte springen. Sie hatte die Arme ausgebreitet …
»Deine Eltern sind da.«
Sie lehnten in der Tür mit einer Ratlosigkeit im Blick, die Jamina nicht an ihnen kannte. Sie sahen aus wie Menschen, die nicht Trost mitbrachten, sondern selbst getröstet werden wollten. Die die Welt nicht mehr begreifen konnten. Die ihr Kind nicht mehr verstanden.
»Wo ist Rafik?«
»Sabines Schwester passt auf ihn auf.«
Der Vater nahm sie in die Arme.
»Wir sind so froh, dass dir nichts passiert ist.«
Kein Vorwurf, keine Fragen. Nur die Erleichterung, die Freude, die so wehtat, als wäre sie Schmerz.
Der Blick zur Mutter. Sie sagte nichts, stand nur da. Es war der Vater, der leise mit der Krankenschwester sprach, während ihre Mutter sie musterte.
»Draußen steht eine Polizistin, sie möchte noch mit dir sprechen. Traust du dir das zu?«, fragte der Vater.
Jamina nickte. Sie nahm die trockenen, warmen Kleidungsstücke, die er ihr reichte und zog sich an. Wie schön, wenn sich jemand sorgte und kümmerte. Wie froh war sie, dass sie abgeholt wurde.
»Danke, dass ihr da seid«, sagte Jamina leise zu ihrer Mutter.
»Bedank dich bei deinem Vater«, sagte sie und wandte sich ab.Die Eltern waren dabei, als sie ihre Aussage machte.
Ja, sie waren Freundinnen, Nele Broderkampp und sie.
Bei diesem Namen sahen sich die Eltern erstaunt an, dann der fragende Blick zu Jamina. Doch sie sagten nichts.
Sie kannten sich erst seit einigen Wochen.
Ja, sie hatten Streit auf der Brücke, das hatte der Surfer richtig beobachtet.
Nele war auf die Brüstung gestiegen. Warum? Keine Ahnung. Aber sie machte öfter sehr spontan etwas, das war nichts Ungewöhnliches.
Der Vater nickte. Ja, das Mädchen war schon immer sehr eigenwillig gewesen.
Sie hatte Angst um ihre Freundin und wollte sie festhalten. Aber die hatte sich losgerissen und war gesprungen.
Gesprungen oder gefallen?
Was für eine Frage …
Absicht oder Versehen, Versuch einer Selbsttötung oder Unfall?
Jamina entschied sich, für Unfall zu plädieren, dann war sie vorläufig entlassen.
Das Gewitter hatte sich inzwischen verzogen. Es war stockdunkel, auf der Straße standen Pfützen, die Abkühlung hing noch in der Luft. Ein so heißer Tag – und das Wasser war so kalt gewesen …
»Ich wollte eigentlich noch nach Yoyo schauen.«
»Denkst du nicht, es ist besser, wenn du damit noch ein paar Tage wartest?«
»Aber ich wollte ihr sagen …«
Ja, was wollte sie ihr sagen? Das es ihr leidtat? Oder dass ihre Wut wegen der Sache mit Alexander wie weggeblasen war nach dem Sprung von der Brücke? Oder dass sie wissen wollte, was da wirklich war zwischen den beiden?
»Hör auf zu grübeln«, flüsterte ihr der Vater ins Ohr und nahm sie noch einmal in den Arm. »Es hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Und du brauchst jetzt erst mal Ruhe.«
Jamina hielt es nicht alleine in ihrem Zimmer aus. Sie ging zurück in die Küche, wo die Eltern saßen. Sie hatte in den vergangenen Stunden das Schweigen ihrer Mutter akzeptiert. Aber jetzt erschien es ihr unerträglich, den Tag so zu beenden.
»Warum schläfst du nicht?«, fragte die Mutter.
»Ich habe Angst vor meinen Träumen.«
»Dann lass uns miteinander wach bleiben«, sagte der Vater.
Sie tranken Tee und schwiegen lange.
»Du musst wissen, dass du jederzeit mit uns reden kannst«, fing er noch einmal an.
»Nein, irgendwann ist Schluss mit dem ganzen Verständnis!«, platzte es aus der Mutter heraus. »Seit Wochen versuche ich, unsere Tochter zu begreifen. Immer wieder sage ich ihr, dass sie sich uns anvertrauen kann. Aber sie tut es nicht. Stattdessen wird das, was sie tut, immer unverständlicher für mich. Ich frage mich: Ist es mein Kind, das da auf einer Brücke steht und springenwill? Ist das meine Tochter, die sich mit ihrer Freundin auf Leben und Tod verabredet? Ich erkenne sie nicht wieder.«
Jamina wollte es erklären, sie wünschte sich so sehr, dass die Mutter sie verstehen würde.
»Ich will dir alles erzählen. Und wenn ich ehrlich bin, beginnt alles mit dem Moment, als ich Yoyo kennengelernt habe.«
»Du machst es dir zu einfach«, sagte die Mutter. »Deine Freundin ist vielleicht ein schwieriger Mensch, aber sie ist nicht verantwortlich für alles, was in den letzten Wochen geschehen ist. Du hast sie dir als Freundin ausgesucht …«
»Klar, ich war völlig hin und weg, wie sie leben und lachen konnte …«
»Und jetzt auf einmal stellst du sie so dar, als wäre sie
Weitere Kostenlose Bücher