Spring in den Himmel
geöffnet. Geh zurück in dein kleines Leben, du Opfer. Und nimm deinen Alexander gleich mit.«
Jamina starrte Yoyo an. Der Platzregen ergoss sich nun über die Stadt, in Sekunden waren beide vollkommen durchnässt. Die Kleider klebten, die Haare hingen ihnen ins Gesicht. Yoyo lief die Wimperntusche über die Wangen, es sah aus, als würden schwarze Tränen aus ihren Augen fließen.
Das Blickduell schien ewig zu dauern. Jamina hatte kein Wort von dem verstanden, was Yoyo gesagt hatte. Redete die wirklich immer noch von Freundschaft? War Yoyo jetzt vollkommen durchgeknallt? Oder frisierte die sich wieder alles so hin, wie sie es brauchte?
»Hau ab«, sagte Yoyo ganz leise. Jamina hörte es kaum, aber sie konnte es von den Lippen ablesen.
»Hau ab!«, brüllte sie dann so laut, dass sie selbst gegen den Donner ankam. »Los, verpiss dich, du Null.«
Jamina blieb stehen, schreckstarr, wie das Kaninchen vor der Schlange. Erst allmählich fasste sie sich wieder.
»Okay, dann geh eben ich.« Es klang ruhig und besonnen. Doch Yoyo wandte sich nicht um und ging zurück ins Lehel, sondern mit einem Schwung sprang sie auf die steinerne Brüstung der Brücke. Da stand sie, im strömenden Regen, unter sich die rauschende Welle des Eisbaches. Keine Surfer mehr, sie hatten alle schon ihre Sachen gepackt und waren gegangen. Auch die Zuschauer hatten längst das Weite gesucht. Ein einzelner junger Mann stand da, trug noch den schwarzen Neoprenanzug, der ihn vor dem Regen so schützte wie zuvor auch vor der Welle. Yoyo ging auf dem breiten Brückengeländer hin und her, kletterte vorbei an der Kugel, die die Brücke zierte. Sie stellte sich an den Rand der Brüstung, beugte sich über den Eisbach und breitete die Arme aus, wie um zu fliegen, wie um zu springen. Die Brücke war nicht hoch, aber jeder wusste, dass diese Welle unberechenbar und die Strömung stark war.
»Halt, bleib stehen!«
Jamina lief zu ihr. Doch Yoyo hatte den Blick fest aufs Wasser gerichtet und lachte.
»Das ist geil, das ist echt. Bungee ohne Seil – wow, das hat mir noch gefehlt.«
Da war sie wieder, diese Yoyo, die vor nichts Angst hatte, die Jamina so beeindruckt hatte in der ersten Zeit.
»Das ist gefährlich, Yoyo.«
»Das Leben ist immer lebensgefährlich.«
»Lass die Sprüche.«
Yoyo aber lachte nur laut, lachte gegen das Plätschern des Regens, das Grollen des Donners und das Rauschen des Eisbachs an.
Jamina streckte die Hand aus. »Komm runter.«
Yoyo nahm ihre Hand, aber nur, um Jamina näher an sich zu ziehen. Die Überraschung, mit welcher Kraft sie zog. Die Brüstung, die gegen ihre Rippen drückte.
»Ich weiß was Besseres: Wir springen zusammen.«
Jamina schüttelte den Kopf, wollte sich losmachen. Doch Yoyo hielt ihre Hand ganz fest.
»Hey, komm rauf. Gemeinsam schaffen wir das.«
Los, Jamina. Denk an den Tandemsprung. Was für ein Gefühl. Fallen … und doch kurz vor Schluss … War das nicht echt? Komm, spring mit mir. Wenn wir's überleben, gut. Und wenn nicht, was soll's? Unser Leben ist doch nichts mehr wert. Deins so wenig wie meins. Alles kaputt. Da kann man nichts mehr wiedergutmachen. Da muss man einfach einen Schlussstrich ziehen.
Jamina konnte nicht anders, sie musste Yoyo da herunterholen. Trotz aller Angst kletterte auch sie auf die Brüstung. Von unten konnte sie Yoyo nicht halten. Aber wenn sie ihr hier gegenüberstand, wenn Yoyo ihren Mut und ihre Verzweiflung, ihr Bemühen spürte, sie zu retten, dann würde sie nachgeben.
Ich glaube, Ertrinken ist toll. Sagen doch immer alle, oder? Da zieht dein Leben noch mal wie ein Film an dir vorbei. Wow. Und dann, ganz allmählich, versinkst du in dem großen blauen Loch, im Wasser. Das ist wie vor der Geburt, verstehst du?
Jamina ging in winzigen Schritten auf Yoyo zu und streckte ihr die Hand entgegen. Sie bemühte sich, nicht hinunterzusehen zu dem reißenden Bach. Die Brüstung war breit und trotzdem hatte sie Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
»Komm, Yoyo, gib mir deine Hand.«
»Springen wir dann?«
»Nein, wir gehen nach Hause.«
»Vielleicht ist das Leben viel schöner, wenn man tot ist?«
Sie lachte selbst laut über ihren Witz.
»Bitte, Yoyo, gib mir deine Hand und komm runter.«
»Ich springe und nehm dich mit. Wir tauchen in die Welle ein und bleiben einfach drin.«
Sie macht ernst, dachte Jamina. Sie zieht mich mit – ins Wasser. In den Tod. Sie hörte Yoyos lautes Lachen, das völlig irre klang. Yoyo tanzte auf sie zu. Es ist
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