Spring in den Himmel
beeindruckt geschwiegen, doch dann kam ein Prusten von Sophia: »Hey, du lebst echt hinterm Mond. Das istdie Flatrate meiner Mom, die hängt doch stundenlang am Telefon, um in der Firma alles zu regeln, weil es ohne sie nicht geht.«
»Komisch, wir sind in zwei verschiedenen Ländern und verstehen uns besser als zu der Zeit, als wir nebeneinander in der Schule saßen.«
»Vielleicht sollten wir unseren Tisch aufteilen in eine spanische und eine deutsche Hälfte, dann klappt das auch wieder besser.«
Jamina ließ die Schulstunden über sich ergehen, sie hörte die Geschichten von Mac, sie sah die Blicke Merlins. Alle waren wie immer, sie auch? War sie nicht eine andere geworden? Keiner hatte es bemerkt, außer vielleicht Sophia.
»… hat sich überraschend diese Möglichkeit ergeben. Wenn also jemand von Ihnen Lust hat, ab Sommer ein paar Monate in Paris zu leben und dort zur Schule zu gehen …«
Es war das Stichwort Paris, das Jamina aus ihren Gedanken weckte.
»Was ist mit Paris?«, fragte sie leise Sophia.
»Irgendwas mit Stipendium.«
»Für uns?«
»Für mich nicht«, grinste Sophia. »Weißt doch, wie ich in Französisch stehe …«
Die Französischlehrerin hatte ihre Ausführungen zu diesem Thema auch schon beendet. Jamina fragte nicht weiter nach. Aber in ihr arbeitete es. Paris … Die Stadt,in der ihr Vater studiert hatte. In der sich ihre Eltern begegnet waren. Sie war nie dort gewesen. Sie würde so gerne hinfahren. Aber für mehrere Monate? Einfach weg von allen? Von der Familie, von den Freunden …
»Warum nicht?«, sagte Merlin in der Pause, als sie darüber diskutierten. Dann grinste er. »Auch wenn ich nicht weiß, wem ich die nächsten Wochen in der Schule auf den Rücken starren soll.«
Jamina lächelte ihn an. »Ich glaub, ich hab dich unterschätzt. Vielleicht sollte ich einfach mal auf dich hören.«
Sie sprach die Lehrerin auf das Stipendium an. Sah ihren überraschten Blick, dann das Nicken.
»Das kann ich mir sehr gut vorstellen, Jamina. Das wäre wirklich was für Sie. Die Gastfamilie würde Sie allerdings schon gerne in die Sommerferien mitnehmen, damit sie Sie besser kennenlernen. Das bedeutet, dass Sie bereits Anfang Juli fahren müssten …«
Dann ging alles ganz schnell.
Die Eltern waren zuerst erschrocken, als Jamina mit diesem Vorschlag kam. Rafik weinte, weil er sich auf einmal so einsam fühlte. Noch bevor sie aufgebrochen war.
Alexander kam noch einmal vorbei unter dem Vorwand, seine Gitarre zu holen.
»Meine neue klingt deutlich besser, aber das war meine erste …«
»Verstehe: die oder keine … Das hast du mal gesagt, aber es ging wohl doch nur um Instrumente.«
»Es ging um viel mehr. Und das weißt du auch.«
Jamina schwieg.
»Du kannst die Gitarre mit nach Paris nehmen«, schlug Alexander vor.
Sie schüttelte den Kopf.
»Zu viele Erinnerungen?«, fragte er.
»Und zu viel Gepäck.«
»Dann ist es mit uns also endgültig vorbei.«
»Lass mich doch erst mal wegfahren – und auch wiederkommen.«
»Kannst du mir wenigstens ein bisschen Hoffnung machen?«
»Ich kann nicht so tun, als wäre nichts passiert. Ich brauche Zeit.«
Als er ging, wandte er sich noch einmal um.
»Sag bitte nicht: Ich vermisse dich jetzt schon.«
Sie versuchte es mit einem Scherz, um ihre Traurigkeit in den Griff zu kriegen.
»Ich vermisse dich schon die ganze Zeit.«
Sie sahen sich an, schwiegen. Sollte sie ihm die Hand geben, ihn in den Arm nehmen? Keiner rührte sich.
Als sie die Tür schließen wollte, zog er eine CD heraus.
»Für dich. Gitarrenmusik.«
»Von dir?«
Sie freute sich wirklich.
Alexander nickte und grinste. »Ich hab sogar gesungen. Damit du was zum Lachen hast.«
Jetzt umarmte sie ihn doch.Der gepackte Koffer mitten im Raum. Auf dem Tisch ihr Tagebuch und das Geld von Herrn Kamke. Sie würde es nicht fürs Medizinstudium verwenden, sondern für die Zeit in Paris.
Ein letzter Blick auf das eigene Zimmer. Der weiße Fleck an der Wand, sie hatte ihn nicht mehr mit einem Poster verdeckt. Der CD-Player, den Yoyo niemals abgeholt hatte.
Das Zimmer kam ihr so klein vor. Hatte sie hier fast 16 Jahre ihres Lebens verbracht? Mit Baby-, Kinder-, Jugendmöbeln, mit immer neuen Bildern an der Wand, mit Büchern, Spielzeug, Schulsachen. War es wirklich immer enger hier geworden oder kam ihr das nur so vor? War sie aus diesem Zimmer rausgewachsen, so wie man aus Kleidern rauswachsen konnte?
In zwei Stunden fuhr der Zug nach Paris.
Sie hörte die Eltern
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