Spur ins Eis
wurde trocken. Dreiundzwanzig Uhr am 18. Oktober war die Nacht, die er, Devlin und Kalyn in Fairbanks im Best Western verbracht hatten. Am 19. Oktober waren sie zu den Wolverine Hills geflogen. Der BlackBerry war an beiden Tagen in Kalyns Besitz gewesen.
Was zum Teufel ? Sie hat ihm gesagt, wo er uns finden kann ?
Und auf einmal wurde Will einiges klar – Details, die ihn gestört hatten, seit Kalyn das erste Mal vor ihm gestanden hatte, fügten sich plötzlich zu einem Ganzen.
Du und Jav, ihr wolltet weg, dachte er. Und warum habt ihr uns mitgenommen ? Er lächelte, als es ihm klar wurde. Weil es nicht gereicht hätte, wenn ihr nur verschwunden wärt. Ihr brauchtet Zeugen für euren Tod, um euch die Alphas und das FBI vom Leib zu halten.
Er stand im Schatten seines Hauses und setzte in Gedanken alle Puzzleteile an die richtige Stelle. Es machte perfekten Sinn. Was für eine Vorstellung.
Sie hatten sein Leben und das seiner Tochter in Gefahr gebracht, aber er hatte Rachael wieder, hatte zweiundzwanzig Frauen zu ihren Familien zurückgebracht, und dafür hatte es sich doch gelohnt.
Will schleuderte Javiers BlackBerry gegen den Steinkamin, und das Gerät zersprang in tausend Einzelteile.
Er ging in den Garten, blickte auf die Weide und sah die Rehe, die immer noch am Mancos River tranken.
Er blickte zum Sternenhimmel und fragte sich, wo Kalyn jetzt wohl war. Er versuchte, sich einen Reim auf sie zu machen, aber sie war wie ein Glasprisma, das in unterschiedlichen Facetten funkelte. Wer bist du ?
Die FBI -Agentin, die an einem kühlen Oktoberabend vor meinem Haus stand ?
Die Femme fatale, die eine Familie kidnappte und einen Alpha mit vorgehaltener Pistole verhörte ?
Die Frau, die sich liebevoll um meine mutterlose Tochter gekümmert und sich selbst in den Trailer eines Trucks begeben hat, um ihre Schwester zu finden ?
Die Rehe hatten Witterung von ihm bekommen und hoben die Köpfe.
Die gebrochene Frau mit den vernarbten Handgelenken, mit der ich in Fairbanks beinahe geschlafen hätte ?
Will ließ sich langsam ins dürre Gras sinken und blickte den Rehen nach, die weiterzogen.
Mögest du Frieden finden, Kalyn.
Über seine Schulter sah er den rötlichen Schein des Kaminfeuers und die Lichterkette, mit der Devlin den Weihnachtsbaum geschmückt hatte, durch die Fenster seines Hauses schimmern. Er hatte auf einmal das Gefühl, dass etwas zu Ende gegangen war, dass er sich auf einem Weg in etwas Neues befand. Und er hatte seine Familie bei sich.
Mehr brauchte er nicht zu wissen.
80
Er hatte seit fünf Minuten versucht, die Aufmerksamkeit der Frau hinter der Bar zu erringen, aber es war ihm nicht gelungen. Der Club war brechend voll, die Musik war schrecklich, und er wollte doch nur noch einen Drink vor dem Schlafengehen, etwas Starkes, das man nicht aus dem Nabel einer Frau schlürfen musste.
Ein harter Stoß riss ihn aus seinen verärgerten Gedanken, und er drehte sich um, aber es war nur ein sehr betrunkener junger Mann – vielleicht ein- oder zweiundzwanzig –, der in jeder Hand ein Corona Lime hielt. Offensichtlich nutzte er es aus, dass hier auch die Getränke inklusive waren. Seine Baseballkappe saß schräg auf seinem Kopf, und er trug kein Hemd, falls jemand sich an seinem muskelbepackten Oberkörper erfreuen wollte.
»Pass das nächste Mal besser auf, Freundchen, ja ?«
Javier blickte auf seine Stiefel aus Leguanleder, über die Bier gespritzt war, als der Junge an ihn gestoßen war.
»Ich soll aufpassen ? Du bist doch gegen mich gestolpert«, sagte Javier. »Warum soll ich dann aufpassen ?«
Einer der Freunde des jungen Mannes packte ihn am Arm. »Komm, Brian, ich hab die Hammerfrau gefunden, die wir heute am Pool gesehen haben.«
Aber Brian riss sich los. »Nö, Mann.« Sein Gesicht war rot vor Wut. »Was hast du denn für ein Problem, Mann ?« Er stieß Javier mit dem Finger an die Brust. Cerveza spritzte auf Javiers schwarzes Seidenhemd.
Er stand jetzt so nahe vor Javier, dass dieser seine von Alkohol geweiteten Pupillen sehen konnte.
»Nichts«, sagte Javier.
»Was ?« Brian drehte Javier gespielt schwerhörig den Kopf zu.
»Nichts«, sagte Javier lauter.
Brian nickte. »Das habe ich mir schon gedacht.«
»Was hast du dir gedacht ?«
»Was ?«
»Du hast gesagt, ›Das habe ich mir schon gedacht‹. Als ob du dir vor meiner Antwort schon eine Meinung gebildet hättest.«
»Ja«, sagte Brian und zeigte auf sein Gesicht. »Ich wusste gleich, dass du ein braves Hündchen bist
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