Spur ins Eis
und nichts tun würdest.«
Javier nickte lächelnd. »Gute Menschenkenntnis, Brian.«
Dann drehte er sich wieder zur Theke und bestellte sich bei der Bardame etwas zu trinken. Der junge Mann wandte sich wieder zur Tanzfläche.
Er schlenderte zum Erste-Klasse-Deck des Kreuzfahrtschiffs. Die Gläser waren angenehm kühl in seiner Hand. Er konnte zwar auch hier noch die Bässe aus dem Club auf dem Oberdeck hören, aber es tat trotzdem gut, dem Gewühl der Weihnachtsgala entkommen zu sein.
Sie waren nur noch dreißig Seemeilen von der Ostküste Südamerikas entfernt. Der Sternenhimmel hier war überwältigend. So weit war er noch nie von Sonora weg gewesen.
Eigentlich hatte er vorgehabt, Kalyn heute Abend zu töten, aber er ging lieber auf Nummer sicher und wartete, bis sie in Rio waren. Vorfreude war doch die schönste Freude.
Sie legte die Hände auf die Reling und beugte sich vor, um auf das dunkle Wasser sechs Stockwerke unter ihr zu schauen. Die tropische Luft streichelte ihre Haut wie Seide.
Als Kalyn Schritte hörte, drehte sie sich um. Javier kam auf sie zu und reichte ihr ein Glas. Kalyn roch den säuerlichen Duft von Tequila.
»Patrón«, sagte er. »Entschuldigung, etwas Besseres hatten sie nicht.«
Sie stießen an und lehnten sich gegen das Geländer. Irgendwo in der Dunkelheit da draußen lag Brasilien. An Silvester würden sie Rio de Janeiro erreichen.
»Wie geht es Kalyn heute Abend ?«
»Ganz gut. Lucy fehlt mir.«
Javier trank einen Schluck von seinem Tequila. »Ich habe viel an Raphael denken müssen.«
»Du wirst ihn wiedersehen.«
»Ich hoffe.«
Sie sagte : »Wir haben es gut gemacht, weißt du.«
»Das denke ich auch.«
»Fühlt es sich für dich nicht auch gut an ?«
»Doch, schon.«
Lächelnd blickte sie ihn an. Sie dachte an die Nacht vor einem Jahr, als sie ihn endlich aufgespürt hatte. Er hatte einen Weg aus allem heraus gesucht – genau wie sie –, und sie hatte ihm eine Tür geöffnet. Und jetzt standen sie hier am Bug eines Kreuzfahrtschiffes auf dem Weg nach Südamerika, mit 425 000 Dollar, die Javier aus dem Safe in der Lodge in Alaska genommen hatte. Er machte ihr immer noch Angst. In seinen blauen Augen stand etwas Hartes, Unergründliches, aber eigentlich gefiel es ihr, dass sie Angst vor ihm hatte.
»Frohe Weihnachten, Jav.«
» Feliz Navidad , Kalyn.«
Kalyn beugte sich vor, sodass sich ihre Ellbogen berührten.
»Was tust du da ?«, sagte Javier.
»Das.« Und sie küsste ihn, zum ersten Mal.
Als sie sich voneinander lösten, sagte sie : »Aber weißt du was ?« Ihre Mundwinkel und ihre Zunge prickelten. »Du hast trotzdem meine Schwester verletzt, du beschissener Psychopath.«
Javier lächelte, aber sein Lächeln erlosch, und er sah ungläubig zu, wie Kalyn sich bückte, sodass ihre Knie beinahe die
Blutlache, die sich unter ihm sammelte, berührten. Sie schlang ihre Arme um seine Oberschenkel, wuchtete ihn auf die Reling, packte den Griff des Messers, das sie in seinem Bauch versenkt hatte, und stieß ihn in den Atlantik.
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