Spur nach Ostfriesland
und warf die Umschläge auf den Herd. Im Urlaub im Januar hatten sie und ihr Mann beschlossen, dass sie sich auf die Suche nach einem Käufer für das Geschäft machen würden, um zum Jahresende, wenn Michael in den Ruhestand ging, fortzuziehen. Dann könnte sie sich ganz dem Schreiben widmen. Aber was, wenn es bei der Schubladen-Karriere blieb? Egal jetzt, Aufgeben kam jedenfalls absolut nicht in Frage. Sie stürzte den Kaffee hinunter und ging in den Laden, um sich endgültig diesem Tag zu stellen.
Sie bemerkte, dass bereits Kunden vor der Tür warteten. I don’t like Mondays , nicht, wenn sie so begannen.
»Guten Morgen.« Sie hielt die Tür auf. »Sie haben mir fest versprochen, dass mein Buch am Samstag da wäre! Dass Sie gar nicht geöffnet haben, war Ihnen dabei wohl entfallen?«, empörte sich die erste Kundin.
»Ich …«, hub sie zu einer Entschuldigung an, während ihre Gedanken Achterbahn fuhren, wurde aber abrupt unterbrochen.
»So etwas Unzuverlässiges habe ich ja noch nie erlebt! Ihretwegen habe ich meine Einladung verpasst. Wie hätte das wohl ausgesehen, ohne Geschenk!«
Ein Gutschein, dachte sie, gepaart mit einer Erklärung, war das so schwierig?
»Ich verstehe Ihre Entrüstung«, versuchte sie wieder, den Redefluss zu unterbrechen, aber die Kundin verließ schon den Laden.
»Wer hatte denn Dienst?«, fragte die nächste Kundin.
»Frau Eising.«
»Ich war am späten Freitagnachmittag hier, und da schien es ihr gut zu gehen. Kann es sich nicht um ein Missverständnis gehandelt haben? Vielleicht dachte sie, sie müsste gar nicht arbeiten?«
»Nein«, widersprach sie, »Franziska macht fast immer die Samstage, wenn ich nicht da bin, das war schon lange abgesprochen, und ein paar Tage vorher habe ich auch noch mal darauf hingewiesen. Es muss –«, ihr versagte die Stimme angesichts der Bilder, die ihre amoklaufende Phantasie ihr vorgaukelte.
»Jetzt machen Sie sich mal nicht verrückt«, versuchte die Kundin, sie zu beruhigen. »Gibt es denn jemanden, den Sie anrufen können, oder lebt sie allein?«
»Sie wohnt mit ihrem Freund zusammen«, erklärte Katharina, »und Familie gibt es auch. Aber Sie haben recht, das werde ich als Erstes versuchen.«
»Gut, ich komme dann morgen wieder, um meine Bestellung abzuholen.« Sie war schon an der Tür und wandte sich nochmals um. »Und nehmen Sie bloß nicht gleich das Schlimmste an, hören Sie?«
Katharina nickte stumm. Das lag in ihrer Natur. Bislang waren die befürchteten Katastrophen nie eingetreten, obwohl sie oft so sicher gewesen war, dass, schon rein statistisch betrachtet, nicht jeder Kelch an ihr vorübergehen konnte. Das bange Warten manchmal, wenn Michael sich verspätete, wofür es tausend harmlose Gründe geben mochte, die sie aber verwarf, wenn allzu viel Zeit verstrich. Die Beschwörungsformeln, dieser faule Wenn-dann-Handel und das Zählen von Fahrzeugen – das fünfte wird seines sein, oder das zehnte, das dreiundneunzigste – und schließlich die Gewissheit, dass er nicht im unfallbedingten Stau steckt, sondern der Unfall ist . Die wütende Erleichterung, wenn er dann doch noch eintraf, allen Unkenrufen zum Trotz, dann, wenn sie ihn am wenigsten erwartete, weil sie längst damit beschäftigt war zu planen, was nun getan werden musste, und ihre Phantasie nur den allerletzten unvorstellbaren Schritt, nämlich den an sein Grab, noch verweigerte. Hättest du nicht anrufen können, verdammt? Dann wollte sie ihn schütteln für die ungeheuren Gedanken, die sie überwältigt hatten.
Reiß dich zusammen, befahl sie sich und suchte nach Franziskas Telefonnummer. Es nahm niemand ab, aber wenigstens war Katharina geistesgegenwärtig genug, eine Nachricht zu hinterlassen. Franziskas Schwester allerdings erreichte sie. Sie schien nicht übermäßig beunruhigt, auf eine Fete habe Franziska am Freitag gewollt, vielleicht sei sie versackt, und ja, sie habe davon gesprochen, dass sie am Samstag arbeiten müsse. Sie versprach, sich zu melden, falls sie etwas hörte. Katharina legte auf. Und nun? Sollte sie die Polizei anrufen? Sie würden sie auslachen – eine junge Frau konnte durchaus ihre Gründe haben, für ein paar Tage zu verschwinden, wahrscheinlich steckte ein Mann dahinter. Sie vertagte die Entscheidung, bis Franziskas Freund sich bei ihr melden würde, und machte sich an die Arbeit.
***
»Herein.« Hauptkommissar Jens Hartmann blickte von dem Bericht auf, an dem er arbeitete.
Ulf Groen von der Vermisstenstelle stand
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