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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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nämlich, dass vor etwa einem Jahr eine junge Frau spurlos verschwunden ist, die in demselben Betrieb ein Praktikum gemacht hatte. Damals haben wir dem Arbeitsplatz keine Bedeutung zugemessen, aber jetzt sieht das Ganze doch etwas anders aus.«
    »Spurlos«, vergewisserte Hartmann sich. »Sie ist also nicht wieder aufgetaucht?«
    »Doch, schon«, Groen wiegte bedächtig den Kopf, »nach acht Wochen ungefähr. Die Großmutter hat uns informiert, dass sie einfach wieder zur Tür hineinspaziert sei, ohne jede Erklärung und als wäre sie nie fort gewesen. Daraufhin habe ich sie selber aufgesucht, hat aber nichts gebracht. Sie konnte oder wollte mir nicht sagen, wo sie sich aufgehalten hat.«
    »Sehr merkwürdig«, erklärte Hartmann.
    »Du sagst es.« Groen stellte den Aktenordner vor ihn hin. »Ich habe dir die Unterlagen gleich mitgebracht. Wenn du Fragen hast, weißt du ja, wo du mich findest. Übrigens – mein Feierabend ist auch noch nicht in Sicht.« Er drehte sich um, hob die Hand und winkte, so wie kleine Kinder winken, indem sie die Finger umklappen und strecken, und watschelte zur Tür hinaus.
    Seufzend schlug Hartmann die Akte auf.
    Birgit Kainz war zwanzig Jahre alt gewesen, als sie verschwand. Das Foto zeigte eine etwas übergewichtige junge Frau mit strähnigem braunem Haar, das ihr Gesicht nahezu verbarg. Sie stand halb hinter einem Ohrensessel, in dem eine gebrechlich wirkende alte Frau saß, eine Topfblume umklammernd. Ihre Großmutter, nahm Hartmann an, und ein Geburtstag der unentrinnbare Anlass für die Aufnahme.
    Aus der Akte erfuhr er, dass Birgit Kainz bei der Großmutter gelebt hatte, seit ihre Mutter verstorben war, den Vater hatte sie nie gekannt. Nach einem schwachen Hauptschulabschluss hatte sie sich in diversen Jobs versucht, im Lager eines Versandgeschäfts gearbeitet, als Hilfskraft in einem Altersheim, und war schließlich in einer Putzkolonne gelandet. Unbeständig, hieß es in einem Vermerk vom Arbeitsamt. Immerhin hatte sie bereits anderthalb Jahre Volkshochschule absolviert, um den Realschulabschluss nachzuholen, ein Zwischenzeugnis bescheinigte ihr das Potenzial dazu. Das Praktikum wäre ein weiterer Schritt auf diesem Weg gewesen.
    Was war passiert? War sie freiwillig verschwunden, einfach abgehauen, weil die in sie gesetzten Erwartungen sie überfordert hatten? Und wenn ja, wohin? Hatte sie auf der Straße gelebt, wie tausende Jugendliche in den Städten, unsichtbar, denn wer schaute schon hin, wenn einem ein Pulk abgerissener Typen entgegenkam? Sie schlugen sich immer in Gruppen durch, allein hatte man keine Chance.
    Aber irgendeine Spur hätte sich finden müssen, es gab sie noch, die Sozialarbeiter, die die Straßen nach Streunern absuchten im Bestreben, auf eine Rückführung in die Gesellschaft hinzuwirken, was immer das hieß. Es gab ein Netz, auch wenn es immer grobmaschiger wurde, eine Essensausgabe, eine Unterkunft für ein paar Nächte oder ein kostenloser Arztbesuch. Niemand löste sich einfach in Luft auf. Jemand hätte sie wiedererkennen müssen, denn Groen hatte bei seiner Suche nichts ausgelassen. Und dann war sie so plötzlich, wie sie verschwunden war, wieder aufgetaucht. Nein, überlegte Hartmann, dieses Szenario war unwahrscheinlich.
    Was gab es für eine Alternative? Sie war eine Einzelgängerin, wie sie im Buche stand, hatte zu niemandem Kontakt gepflegt. Keine weiteren Verwandten, keine Freundin, keine Treffen mit Kollegen oder Mitschülern, eine, die ihre Einsamkeit vermutlich durch Essen kompensiert hatte. Wer hätte sie entführen sollen und warum? Entführungen, die nicht mit einer Lösegeldforderung einhergingen, endeten in aller Regel nicht mit Freilassung. Und warum redete sie nicht, jedenfalls nicht mit der Polizei?
    Die einzige andere Spur war diese Buchhandlung, der seltsame Zufall, dass zwei Frauen verschwunden waren, die dort gearbeitet hatten. War die Gemeinsamkeit beider Fälle »Buchhandlung« oder »Geschäft«? Genauer: War ein spezifisches Interesse ausschlaggebend für die Wahl der Opfer? Und Opfer wovon? Hartmann ließ den Blick zwischen beiden Fotos hin- und herschweifen. Die eine war recht hübsch, die andere eher nicht, eine gebildet, sofern man davon ausging, dass ein Studium Bildung vermittelte, die andere weniger, eine lebte in geordneten und die andere in einfachen Verhältnissen. Es gab keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Bis auf den Arbeitsplatz.
    Er klappte den Aktenordner zu. Er würde sich wohl oder übel

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