Spurlos
die Entfernungen waren so groß, dass sie es erst zehn Minuten nach Shanes Aktion eingetroffen waren. Der Fall war klar. Muhammad Solea hatte Cannabis und Kava, das aus einer Wurzel gewonnen wurde und vor allem im südpazifischen Raum als Droge verbreitet war, an Aborigines verkauft. Der Verkauf zu einem festgelegten Preis war bis zu einer bestimmten Menge sogar erlaubt – sofern man eine staatliche Genehmigung dafür besaß. Doch Muhammad besaß keine, verkaufte darüber hinaus zu viel und zu einem höheren Preis. Shane hatte ihn nicht wegen seiner Drogendeals gejagt sondern wegen eines Mordes an einem anderen Dealer. Der Mord war bewiesen. Nun ging es der Verteidigung darum, Verfahrensfehler aufzudecken, um ein milderes Urteil herauszuschinden oder gar das gesamte Verfahren neu aufrollen zu können.
Das Geräusch einer sich öffnenden Saaltür ließ ihn sich umdrehen.
„Hi, Shane!“ Er sah eine kleine, kräftige Frau in einem orangefarbenen Sommerkleid winkend auf ihn zukommen. Er erkannte sie sofort: Louise Woolfe, die Rechtsanwältin, die vor Jahren in Brisbane gearbeitet, dann geheiratet und ins Northern Territory gezogen war.
„ Hi Louise!“
Sie stand mit ihren vollen ein Meter fünfzig vor ihm.
„Detective O’Connor!“ Lachend boxte sie ihm in die Rippen. Eine Angewohnheit, die sie schon damals in Brisbane gehabt hatte, und die ihr den Spitznamen Nudge eingebracht hatte. „Ich wusste schon, dass du kommst.“ Sie zwinkerte ihm zu, „die Buschtrommeln!“
Rote, korallenähnliche Ohrringe schaukelten als sie den Kopf zur Seite legte und Shane von oben bis unten musterte. „Und, auf der Jagd?“ Sie zwinkerte wieder und versetzte ihm erneut einen Knuff in die Rippen. „Ich habe gehört, dass die Frau dieses Muhammad Solea regelmäßig nach Nigeria fliegt, mit Bündeln von Bargeld.“
„Ja, das scheint kaum ein Geheimnis zu sein. Er soll islamische Vereinigungen damit unterstützen – mit dem Geld, das er von den Aborigines bekommt. Das wiederum bekommen sie von unserer Steuer.“
Sie schüttelte den Kopf. „Und – kriegt ihr ihn dran?“
„Ja.“ Er nickte. „Obwohl, seine Anwältin ist ein scharfer Hund.“
Sie lachte laut auf und brachte eine Reihe schiefer Zähne zum Vorschein.
„ Ja! Alex Winger - „The Shark“.
Er sah ihre kalten Augen vor sich. „Wie passend.“
„Hast du diese wilde Horde Geschworener gesehen?“ Sie machte eine Bewegung nach links. „Weißt du, ich bin ja auch für lässige Kleidung, aber …“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Das ist das Northern Territory, Shane. Ich musste mich erst mal dran gewöhnen. Genauso wie an das permanent schöne Wetter in der Dry-Season und diesen Regen und die schrecklichen Stürme in der Wet-Season. Wann fliegst du zurück?“
„ Morgen Nachmittag.“
„Ach, schade. Heute Abend hab’ ich keine Zeit, aber morgen. Wir hätten mal wieder einen drauf machen können!“ Sie brachte einen verruchten Augenaufschlag zustande.
„Was würde dein Mann wohl dazu sagen, Louise?“
Sie rollte mit den Augen. „Der ist froh, wenn er in Ruhe an seinen Autos rumbasteln kann. Da wir gerade beim Thema sind: was machen Kim und Pam?“
„Sie wohnen jetzt oben an der Sunshine Coast. Kim hat wieder geheiratet.“ Frank, einen fetten Reifenhändler, hatte er sagen wollen, hielt aber noch rechtzeitig den Mund.
„Tja. So geht es? Und du?“ Sie knuffte ihm wieder in die Seite und zwinkerte viel sagend. „Nichts Neues in Sicht?“
„In Sicht schon.“ Er dachte an Carol, die gerade ihre zweite Woche auf Vanuatu verbrachte. Seit einem Jahr verband sie eine lockere Beziehung. Sie lebte an der Sunshine Coast, er in Brisbane. An den Wochenenden, an denen er nicht arbeiten musste, sahen sie sich. Manchmal blieb sie auch ein paar Tage in Brisbane. Sie schmiedeten keine Zukunftspläne. Shane wusste, dass auch Carol Angst davor hatte, sich an jemanden zu binden und Versprechungen zu machen, die sie vielleicht nicht halten könnte,
„Tja, schade, warum bleibst du nicht länger hier? Abgesehen von diesen Geschworenen ist es gar nicht so übel und noch ist die Wet-Season nicht da.“ Sie griff in ihre aus rot em und orangefarbenem Bast geflochtene Umhängetasche. Pandanus nannte man die Gräser, erinnerte er sich, die von Aborigine-Frauen gesammelt, getrocknet, gefärbt und dann zu Körben und Taschen verarbeitet und inzwischen in Galerien verkauft wurden. „Hier, meine Nummer, wenn du mal wieder hier bist.“ Er nahm die
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