Spurschaden
dabei. Da war keine Traurigkeit oder Angst. Da war nur das warme Licht, das ihn alle Schmerzen vergessen ließ.
»Jetzt bist du auf dich allein gestellt, Johannes«, dachte er. »Möge sich deine Kirche wieder füllen … lieber Freund!«
Dann plötzlich Stille. Dunkelheit. Professor Arndts Herz hatte aufgehört zu schlagen.
28
»Wir sind da, Herr Kommissar.« Die Nachtschwester drehte sich um und deutete ein Lächeln an. Doch Thomas schaute bewusst an ihr vorbei. Aus seiner Sorge um Marie war Wut geworden. Er dachte an die oft kritisierten Hygienebedingungen in den Krankenhäusern, an die gezielten Einsparungen in diesem Bereich. Er dachte an ein Krankenhauspersonal, das vielleicht einfach nur zu faul war, sich öfters die Hände zu waschen. Und er schätzte den Zeitaufwand ab, den die vor ihm Stehende benötigte, um ihre Rasterlocken in Form zu halten. Hatten einige dieser Faktoren eventuell die Entzündung an Maries Hand begünstigt?
Schwester Ashley öffnete lautlos die Tür. Das Licht vom Flur fiel ins Zimmer und auf das einzige Bett. Es war leer.
Thomas wollte gerade an der Schwester vorbei, als er ihr »Sie ist im Bad … da brennt Licht« hörte.
Sein Puls beruhigte sich – nervös war er noch immer. Ein Gefühl in der Magengegend sagte ihm, dass er wachsam sein sollte.
Die Nachtschwester schaltete die Deckenbeleuchtung ein und ging zur Badezimmertür. Thomas erfasste inzwischen einige Details: Die Bettdecke war offensichtlich unter normalen Umständen zur Seite geschlagen worden – die Art und Weise, wie sie da lag, war zwar etwas ungewöhnlich, deutete aber nicht auf Panik oder einen Zugriff eines Außenstehenden hin. Das schwache Wandlicht über dem Kopfbereich war bereits an gewesen – ohne dieses hätte Marie das Badezimmer im Dunklen nur erahnen können.
»Frau Kraft … Marie? Sie haben Besuch.« Ashley klopfte betont an die Badezimmertür – nichts. Sie klopfte erneut; kräftiger. »Alles O.K.?«
Dieses Mal folgte sofort ein »Bin gleich fertig!«.
Ja, das war eindeutig Maries Stimme, auch wenn sie etwas angestrengt und leicht genervt klang. Das unmittelbar darauf ertönende Piepsen war allerdings nur für die Nachtschwester und den Kommissar hörbar.
»Mein Pieper. Ich werde gebraucht!« Ashley drehte sich um. »Komme gleich wieder!« Dann verschwand sie im Flur.
Thomas setzte sich an den kleinen Tisch nahe der Wand. Die praktische Zimmeraufteilung, der an der Decke befestigte schwenkbare Fernseher, all das war typisch für ein modernes Krankenhauszimmer. Hinzu kamen abschließbare Fächer im Wandschrank und ein auf Keilrahmen gespanntes Bild eines Wasserfalls mit Regenbogen. »Kitschig. Aber irgendwie erfrischend«, sprach Thomas leise vor sich hin. Das Geräusch eben musste der Wasserhahn sein.
Thomas dachte darüber nach, wie er sich am besten verhalten, was er sagen sollte, wenn Marie gleich aus dem Badezimmer käme. Nervös griff er nach dem auf dem Tisch liegenden Zettel und las die auffällig mit Kuli umrundete Textstelle:
»Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen« (Römer 13, 11).
Thomas dachte sofort an seinen Vater. Dieser Satz hatte das gewisse Etwas. Zu dieser Zeit, in dieser Situation – irgendwie magisch. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Tief gerührt schrieb er das Zitat aus der Bibel in seinen Notizblock. Dahinter drei Ausrufezeichen.
Es war diese schlichte Selbstverständlichkeit in der Aussage, die ihn so faszinierte. Die Stunde ist da – aufstehen! Bei nächster Gelegenheit wollte er diesen Satz seinem Vater ins Ohr flüstern. Dann hoffen und beten. Ein Versuch war es wert.
Das Öffnen der leicht quietschenden Badezimmertür riss Thomas aus seinen Gedanken. Sein Blick traf sofort den von Marie. Sie schien nicht sonderlich überrascht, eher verlegen. In einem weiß-roten Nachthemd lehnte sie am Türrahmen.
»Ich … ich wollte dich sehen!«, brachte Thomas mit trockener Stimme hervor. Das höfliche »Sie« hatte er in diesem Moment übersprungen. Genau wie die übliche Frage: »Ich darf doch DU sagen, oder?« Nein, ein »Sie« wäre ihm einfach lächerlich vorgekommen.
»Danke Thomas. Ich freu mich sehr!« Und Marie sagte das in einem Tonfall, der Thomas unendlich gut tat. Dann drehte sie ihren Kopf kurz ins Bad und wieder zurück.
»Erschrick bitte nicht. Das ist schlimmer als es aussieht.« Sie schien kurz nachzudenken. Dann folgte umgehend: »Ich meine … es sieht schlimmer aus, als es ist.« Sie versuchte zu lächeln.
Thomas schaute
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