ST - New Frontier 5: Ort der Stille
aufregst.«
»Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen. Es kann nicht schlimmer sein als meine Träume.«
»Dann gehe ich mit dir nach draußen.«
»Ich würde lieber allein gehen.«
»Riella, ich …«
»Ich würde lieber … allein … gehen«, wiederholte sie mit einer überraschenden Entschlossenheit in der Stimme. Trotz der Unruhe, die die Träume ihr bereiteten, schien sie immer noch über eine geheime Kraftquelle zu verfügen, die sie bei Bedarf anzapfen konnte. Dann fiel sie in den gewohnten Respekt vor ihrer Mutter zurück und setzte hinzu: »Wenn es dir nichts ausmacht, versteht sich.«
»Natürlich nicht. Aber vorher musst du deine Medizin nehmen.«
»Mutter!«, seufzte Riella. »Muss ich immer noch dieses Tonikum nehmen? Ich bin kein kleines Kind mehr.«
Doch ihre Mutter hörte gar nicht mehr zu, und Riella wusste, dass sie nicht mit sich diskutieren ließ, wenn sie so war. Sie holte die Medizinflasche aus dem Schrank und sagte: »Ich weiß, dass du kein Kind mehr bist, aber darum geht es auch gar nicht. Du hast mein spezielles Tonikum zum Aufbau deines Körpers seit dem Tag deiner Geburt genommen. Und ich werde dafür sorgen, dass du es weiterhin nimmst, bis zum Tag deines Todes … und noch mehrere Wochen danach.« Sie hatte etwas von der Flüssigkeit auf einen Löffel gegossen, den sie Riella reichte. »Mund auf!«
»Mutter …«
»Mund auf, habe ich gesagt!« Obwohl sie sich leicht zu amüsieren schien, ließ ihr Tonfall keinen Zweifel daran, dass sie erwartete, dass ihre Wünsche befolgt wurden.
Riella wusste, dass kein Weg daran vorbeiführte, und hielt sich die Nase zu, wie sie es immer tat, da sie den Geruch anders nicht ertragen konnte. Ihre Mutter schüttete ihr die Medizin in den Rachen und hielt ihr dann den Mund zu. Riella schluckte gehorsam und blickte ihre Mutter an, als wollte sie sagen:
Bist du jetzt zufrieden?
Malia beantwortete die unausgesprochene Frage mit einer vagen Geste in Richtung der Tür, die besagte, dass Riella nun gehen könne, wenn sie es wünschte.
Einen Moment lang wollte sie ihre Tochter begleiten, die so abwesend schien, als hätte sie von den fernsten Monden zu ihr gesprochen. Sie wollte zu ihr gehen, sie fest an sich drücken, ihr alles sagen, was sie empfand, ihr erklären, wie gerne sie ihr helfen würde, aber wie wenig sie sich diese Aufgabe zutraute. Doch dann war der Moment vorbei, und Riella ging zur Tür hinaus. Malia blieb allein mit ihrer Verzweiflung und der Überzeugung zurück, dass sie einfach von der Aufgabe überfordert war, Riella aufzuziehen und mit ihren Träumen fertigzuwerden.
Sie hoffte nur, dass sie sie nicht würde töten müssen.
Riella war sich der Blicke bewusst, die sie verfolgten. Sie zeigte sich so selten in der Stadt, dass bereits ihre bloße Anwesenheit Aufmerksamkeit erregte. Hinzu kam ihr ungewöhnliches Aussehen, ihre dunklere Haut, durch die sie sich auf den ersten Blick von den einheitlich blassen Montosianern unterschied. Zu einer Exotin machte sie auch die Tatsache, dass sie kahlköpfig war. Ihr Schädel war glatt wie ein von fließendem Wasser polierter Kieselstein. Da sie deswegen ständig angestarrt wurde, hatte sie sich angewöhnt, eine kurze brünette Perücke zu tragen. Sie hatte sie auch diesmal mitgenommen, bevor sie das Haus ihrer Mutter verlassen hatte …
Das Haus ihrer Mutter …
Sie staunte, wie fremdartig sich die Worte in ihrem Kopf anhörten. Das Haus ihrer Mutter. Es war nicht ihr Heim und ganz gewiss nicht ihre Heimat. Obwohl sie hier lebte, obwohl ihre Mutter sie nach besten Kräften versorgte … blieb trotzdem ein Gefühl der Distanz und Fremdartigkeit. Sie lebte hier nicht, sie wohnte hier nur. Sie hatte keine Ahnung, warum sie so empfand. Ihre Mutter hatte nie etwas getan, das ihr das Gefühl gegeben hätte, unerwünscht zu sein. Sie war eine gute und liebenswürdige Frau, die sich vielleicht etwas mehr um sie sorgte, als nötig war, und die sich vermutlich eher ein Messer ins eigene Herz stoßen würde, als das Risiko einzugehen, ihrer geliebten Tochter könnte etwas zustoßen. Sie wusste, dass ihre Mutter sie verehrte.
Und doch … war da etwas … irgendetwas … ein nagendes Gefühl.
Sie verdrängte diese vagen Gedanken. Sie hatten nichts zu bedeuten. Es waren lediglich ihre Träume, die sie zu fiebrigen Fantasien anregten, und nun beeinflussten sie bereits das Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrem Heim. Ihr Zustand wurde immer trauriger. Sie kam sich so undankbar vor.
Sie hörte, wie
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