ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
andere Leute, die an diesem Nachmittag unterwegs waren, grüßten ihn. Die meisten sprachen ihn mit »Doc« oder »Doktor« an, selbst diejenigen, die ihn beim Vornamen genannt hatten, als er damals nach Hayden gekommen war. Er arbeitete jetzt seit fast zwei Jahren als Stadtarzt und war in dieser Rolle bereitwillig akzeptiert worden.
Diese Zeit war für McCoy nicht nur erfüllend gewesen, sondern hatte sich zudem als äußerst lehrreich erwiesen. Da er hier nicht auf die Diagnostikgeräte zurückgreifen konnte, die er aus seinem Leben im dreiundzwanzigsten Jahrhundert kannte, war er gezwungen gewesen, sich wieder auf die manuellen Untersuchungsmethoden zu besinnen, die er während seines Studiums an der Medizinischen Fakultät zwar gelernt, bisher jedoch äußerst selten in der Praxis angewandt hatte. In manchen Fällen musste er sogar neue Methoden lernen – nun, eigentlich alte Methoden, aber für ihn waren sie neu. Außerdem musste er sich mit den medizinischen Geräten sowie der Arzneikunde dieses Zeitalters auseinandersetzen. Anfangs hatte ihn der primitive Zustand des Gesundheitswesens der Erde in den 1930er Jahren frustriert, doch er fand sich schnell damit ab. Er würde wohl kaum den Trikorder oder den Physiostimulator erfinden oder Masiform-D entwickeln, also musste er eben anfangen, die Geräte zu verstehen und anzuwenden, die ihm zur Verfügung standen. Das tat er, indem er Dr. Lyles beobachtete, Fragen stellte und medizinische Fachzeitschriften las, die Lyles ihm empfahl.
McCoy erreichte die südöstliche Ecke des Parks, wartete, bis Ducky Jensen in seinem blassgelben Studebaker vorbeigefahren war, und überquerte dann die Kreuzung, um zu Lyles’ Haus zu gelangen. Da die beiden Männer nun zusammenarbeiteten, hatte der ältere Arzt McCoy erlaubt, sein Büro mitzubenutzen, was bisher gut funktionierte. Er ging an dem niedrigen Lattenzaun vorbei und bog in den Steinweg ein. Das hölzerne Schild auf dem Pfahl im Vorgarten verkündete immer noch: W ILLIAM L YLES , D R. MED .
McCoy öffnete die Tür und trat ins Haus. »Doktor Lyles!«, rief er. »Ich bin wieder da.« Obwohl sie sich seit zweieinhalb Jahren kannten und nun auch schon eine ganze Weile zusammenarbeiteten, sprachen sie sich nach wie vor mit ihren Titeln an. Es war nicht so, dass sie einander nicht leiden konnten oder keine persönliche Beziehung zueinander hatten – auch wenn sich selbst ihre Privatgespräche meist um medizinische Themen drehten. Doch Lyles schien das professionelle Verhältnis zwischen ihnen aufrechterhalten zu wollen und war ohnehin ein sehr zurückgezogener Mensch. Phil zufolge hatte sich der gute Doktor aus seinem sozialen Umfeld zurückgezogen, als seine Frau vor fünfzehn Jahren gestorben war. Sie und mehrere andere Bewohner Haydens waren der »Schwindsucht« zum Opfer gefallen, was eine alte Bezeichnung für Tuberkulose war.
»Doktor Lyles?«, rief McCoy erneut. Er blieb im Flur stehen und lauschte, doch er vernahm lediglich das laute mechanische Schlagen der Standuhr im Wohnzimmer. Lyles mochte auf der Toilette hinterm Haus sein, oder vielleicht war er auch gebeten worden, einen Hausbesuch zu machen. McCoy ging den Flur entlang und trat durch die erste Tür auf der rechten Seite in den Untersuchungsraum. Er stellte seine Tasche auf den kleinen Tisch direkt hinter der Tür und …
Für eine Sekunde erstarrte McCoy. Lyles lag neben dem Untersuchungstisch auf dem Boden. Er war auf die linke Seite gefallen, und sein Kopf und sein Hals lehnten in einem seltsamen Winkel an den Schränken, die an der Wand entlang verliefen. McCoy schnappte sich sofort seine gerade erst abgestellte Tasche, eilte durch den Raum und kniete sich neben den Arzt. Er packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn behutsam. »Doktor Lyles, können Sie mich hören?«
Keine Antwort.
McCoy zog Lyles vorsichtig von den Schränken weg und legte ihn flach auf den Boden. Schnell öffnete er die Tasche und zog sein Stethoskop heraus, auch wenn ihm bereits aufgefallen war, dass sich die Brust des alten Mannes nicht mehr hob und senkte und er scheinbar aufgehört hatte zu atmen. McCoy steckte sich die Hörer des Stethoskops in die Ohren, doch bevor er das Gerät anwandte, legte er eine Hand an Lyles’ Hals, um nach dem Puls zu fühlen. Er fand nichts.
In dem Wissen, dass ihm die Zeit davonlief, riss McCoy das Hemd des Arztes auf, wodurch mehrere Knöpfe absprangen und über den Boden rollten. Er ließ die Membran des Stethoskops in der üblichen
Weitere Kostenlose Bücher