Staatsverschuldung
ein konjunkturbedingter Rückgang des Konsums und der Investitionen nur vorübergehender Natur und würde sich von selbst korrigieren.
Keynes hingegen zeigte, dass dies nicht notwendigerweise der Fall ist: die Produzenten können den Rückgang der Konsum- und Investitionsnachfrage mit einer Drosselung der Produktion beantworten, mit der Folge erhöhter Arbeitslosigkeit und damit weiter sinkender Einkommen. Die sinkenden Einkommen führen zu einem weiteren Konsumrückgang, der dann im schlimmsten Fall zu einer weiteren Reduktion der Produktion führt. In der keynesianischen Welt führt also ein Rückgang der Nachfragezu sinkender Produktion (und nicht zu sinkenden Preisen), zu sinkender Beschäftigung, sinkenden Einkommen und dadurch weiter sinkender Nachfrage – die Wirtschaft droht in einen Teufelskreis zu stürzen.
Stimmt diese Diagnose, so besteht ein möglicher Ausweg darin, dass der Staat einspringt und die entstandene Nachfragelücke mit kreditfinanzierten Ausgaben füllt. Diese zusätzliche Staatsnachfrage würde die Nachfragelücke ausfüllen und damit Produktion und Beschäftigung stabilisieren. Das wäre dann eine weitere Begründung für Staatsverschuldung: In Zeiten schwacher privater Nachfrage, wenn aufgrund des Nachfrageausfalls eine Abwärtsspirale droht, füllt der Staat diese Lücke, indem er kreditfinanzierte Ausgaben tätigt, welche die Wirtschaft stützen und einen Rückgang der Produktion, der Beschäftigung und der Einkommen verhindern sollen. Eine drohende Konjunkturkrise wäre damit ein wichtiger Grund für temporäre neue Staatsverschuldung.
Die keynesianische Theorie konjunktureller Krisen hat das Weltbild der Ökonomen und ihre Politikempfehlungen nachhaltig verändert. Allerdings haben sie im Lauf der Zeit einige wichtige Erkenntnisse hinzugewonnen, die im Zusammenhang mit einer keynesianisch ausgerichteten Konjunkturpolitik zu beachten sind:
– Nicht immer ist ein Nachfrageausfall die Ursache einer Wirtschaftskrise. Die Ölpreiskrisen der siebziger und achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts beispielsweise waren so genannte
Angebotsschocks,
deren Ursache die Verteuerung eines zentralen Produktionsfaktors war – Erdöl. In derartigen Fällen, in denen ein Nachfrageausfall nicht die Ursache der Krise ist, hilft keynesianische Konjunkturpolitik nicht weiter, sondern kann sogar schädlich sein.
– Problematisch wird keynesianische Konjunkturpolitik auch dann, wenn der Staat zu lange braucht, um seine Ausgabenprogramme auf den Weg zu bringen. Immerhin muss er zuerst erkennen, dass er ein Konjunkturproblem hat, dann muss er Entscheidungen fällen, Projekte aussuchen, Ausschreibungentätigen, und so weiter. Bis der Nachfrageimpuls der staatlichen Ausgaben in der Wirtschaft ankommt, können so 12 bis 18 Monate vergehen, was dazu führen kann, dass die zusätzliche Nachfrage des Staats sich erst in einer bereits wieder erholenden Wirtschaft entfaltet. In der Literatur spricht man hier von
Time-lags
(Verzögerungen).
– Keynesianische Konjunkturpolitik wird auch als
antizyklische Fiskalpolitik
bezeichnet. Das bedeutet, dass der Staat sich in Krisenzeiten verschuldet, um die Nachfrage zu stützen, in Boom-Zeiten aber diese Schulden wieder abbaut und bestenfalls sogar ein Polster aufbaut, um bei der nächsten Krise wieder Mittel zur Konjunkturstützung zur Verfügung zu haben. Diese zweite, notwendige Seite antizyklischer Konjunkturpolitik, der Abbau von Schulden in guten Zeiten, wird zumeist von der Politik vernachlässigt, wenn nicht sogar ignoriert. Man verschuldet sich zwar in schlechten Zeiten, um die Konjunktur zu stützen, baut diese Verschuldung aber in guten Zeiten nicht mit unpopulären Maßnahmen ab. Dies führt zu einem dauerhaften Aufbau von Schulden. Auf die politischen Mechanismen, die dazu führen können, gehen wir im nächsten Abschnitt ausführlicher ein.
– Die kreditfinanzierten Ausgaben des Staates können einen Ausfall der privaten Nachfrage nicht dauerhaft ersetzen, sondern nur einen Nachfrageimpuls geben, die Konjunktur sozusagen anschieben. Was sie nicht können, ist dauerhafte, strukturelle Ungleichgewichte einer Volkswirtschaft beseitigen. Wenn also die Arbeitslosigkeit eines Landes durch unangemessene Lohnpolitik, einen inflexiblen, überregulierten Arbeitsmarkt oder falsche Wirtschaftspolitik entsteht, dann hilft keynesianische Konjunkturpolitik nicht – sie kann unter solchen Umständen aufgrund der damit verbundenen Verschuldung sogar kontraproduktiv
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