Staatsverschuldung
Last.
Ein Paradebeispiel für diesen Mechanismus ist die 1995 in Deutschland eingeführte Pflegeversicherung. Mit Einführung dieser Versicherung konnte die amtierende Regierungskoalition sofort wahlstimmenwirksam Leistungen an Pflegebedürftige ausschütten, ohne dass diese etwas eingezahlt hatten. Den Beitragszahlern versicherte man, dass sie für ihre Beiträge später ebenfalls Leistungen erhalten werden – ein klassischer Fall von impliziter, versteckter Staatsverschuldung. Sollten aufgrund der demographischen Entwicklung die Mittel der Pflegeversicherung einmal nicht mehr ausreichen, so muss die Regierung entweder Leistungen kürzen, die Beiträge erhöhen oder Mittel aus den Steuereinnahmen zuschießen. Doch diese negativen Folgen der Pflegeversicherung werden erst einer späteren Regierung aufgebürdet. Dieser Fall ist bei der Pflegeversicherung mittlerweile eingetreten. Ihre Finanzierung muss auf eine neue tragfähige Grundlage gestellt werden. Aus politischer Sicht hat die Einführung der umlagefinanzierten Pflegeversicherung der Regierung übrigens wenig genutzt, möglicherweise weil die nächste Bundestagswahl erst drei Jahre später stattfand – die damals unter Helmut Kohl amtierende Regierung wurde abgewählt.
Höhere Verschuldung zur Finanzierung von höheren Sozialleistungen oder niedrigeren Steuern erscheint politisch betrachtet dennoch als attraktive Möglichkeit, die Wiederwahl zu sichern. Die ökonomische Literatur spricht von
opportunistischem Politikerverhalten.
Führt man diesen Gedanken konsequentzu Ende, so müsste die Regierung nach einer erfolgreichen Wiederwahl die Schulden jedoch (zumindest teilweise) wieder abbauen und hoffen, dass die damit zusammenhängenden unpopulären Maßnahmen bis zur nächsten Wahl vergessen sind. Das Ergebnis sind dann so genannte
politische Konjunktur-Zyklen:
Vor der Wahl steigen Verschuldung, Beschäftigung und Einkommen, die Steuern sinken und die Sozialleistungen nehmen zu, nach der Wahl kommt es hingegen zu einer Kontraktion der Wirtschaft, zu steigenden Steuern und sinkenden Sozialleistungen. Allerdings lässt dieses Erklärungsmodell die Frage offen, wie rational Wähler eigentlich sind und ob sie in der Lage sind, diese Taktik der jeweiligen Regierung zu durchschauen und sich ein eigenes Bild über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der amtierenden Regierung zu machen.
Die empirische Evidenz für diese Theorie ist gemischt: So finden sich für südamerikanische Staaten, beispielsweise Kolumbien[ 12 ] oder Mexico[ 13 ], Hinweise, dass die Regierungen in der Tat vor den Wahlen die Ausgaben erhöhen. Allgemein zeigt eine Studie für Südamerika zwischen 1990 und 2004, dass Regierungen ein Jahr vor den Wahlen die Investitionsausgaben und im Wahljahr die Sozialleistungen erhöhen[ 14 ]. Andere Studien zeigen, dass südamerikanische Regierungen im Jahr ihres Amtsantritts die Ausgaben reduzieren[ 15 ] – beides spricht für die These politischer Budgetzyklen. Für entwickelte Industriestaaten sind die empirischen Hinweise weniger eindeutig: Eine Analyse für 58 Schwellenländer und 27 entwickelte Staaten zwischen 1975 und 1991 zeigt, dass in den entwickelten Staaten die Budgetdefizite in Wahljahren nicht ansteigen[ 16 ], eine weitere Studie für den Zeitraum zwischen 1960 und 2001 kommt zu ähnlichen Ergebnissen[ 17 ]. Ob zudem die Strategie erfolgreich ist, sich die Wiederwahl über höhere Ausgaben zu sichern, ist fraglich; eine Studie mit 74 Ländern von 1960 bis 2003 liefert keine Belege dafür, dass höhere Staatsausgaben die Wiederwahl sichern[ 18 ].
Eine andere Hypothese stellt auf die ideologische Präferenzen der Politiker ab. Demnach wird die Politik – auch die Schuldenpolitik – von parteiideologischen Interessen geprägt (
PartisanApproach
). Dabei schreibt man linksgerichteten Parteien allgemein zu, dass sie eine größere Präferenz für Beschäftigung und soziale Belange haben und bereit sind, dafür höhere Schulden und Inflation in Kauf zu nehmen, während konservative Parteien eher auf Wachstum, Leistungsanreize und Geldwertstabilität fokussiert sind und deswegen eine Abneigung gegen zu hohe Schulden haben. Nach dieser Theorie entspricht die Länge der politisch verursachten Konjunkturzyklen nicht in jedem Fall der Länge einer Wahlperiode; es hängt jeweils davon ab, wie oft eine linke oder rechte Regierungspartei im Amt bestätigt wird. Aber auch zu dieser Theorie sind die empirischen Ergebnisse nicht eindeutig.
Ein
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